19 November 2010, Stefan Fischer, Süddeutsche Zeitung
Review (de)
Das Zischen im Walde
Radiostück von Heiner Goebbels über den Horror bei Stifter
Erst ein Zischen, dann ein metallisches Schleifen, später ein Knattern: Das sollen Stifters Dinge sein? Industrie- statt Naturgeräusche? Der Komponist und Tonkünstler Heiner Goebbels bringt einen Text Stifters und damit zwangsläufig auch die Gedankenwelt dieses Autors zum Klingen - auf eine Weise, die man nicht erwartet, wenn man Stifters Werk nur oberflächlich kennt. Fünf mechanische Klaviere, dazu Wasser, Nebel, Regen, Steine und Stimmen liefern Goebbels das akustische Material. Eine Viertelstunde ist alles bloß Geräusch; fremdartig, rätselhaft, insistierend. Dann erzählt Hermann Josef Mohr die Eisgeschichte aus Stifters Dichtung Die Mappe meines Urgroßvaters. Sie beginnt auf dem vereisten Platz eines kleinen Ortes, der gegen die Glätte mit Sand bestreut wird. Weil es jedoch unentwegt regnet und die Nässe überfriert, ist das Streuen ein sinnloses Unterfangen. Später geht es mit einem Schlitten hinaus in Richtung eines Waldes. Die Kutschgesellschaft vernimmt einen Schall und ein Rauschen in der Luft, 'etwas sehr Unbestimmtes'. Drohende Vorboten sind das, alsbald stürzt ein Baum zu Boden: 'Ein helles Krachen, gleichsam wie ein Schrei ging vorher. Dann folgte ein kurzes Wehen, Sausen oder Streifen', schreibt Stifter 'Es war auch noch ein Klingeln und Geschiener, als ob unendliches Glas durcheinander geschoben und gerüttelt würde.' Heiner Goebbels macht mit seiner assoziativen Komposition kenntlich, welcher Horror eingeschrieben ist in Stifters Dinge - und spielt zugleich akustisch mit den Verlockungen von Gefahr. Neben dem Komponisten gebührt das Lob für dieses Hörstück Hans Burkhard Schlichting, der als Chefdramaturg des SWR die akustische Kunst wie kaum ein Zweiter gefördert hat. Mit Stifters Dinge hat er sich nun in den Ruhestand verabschiedet.
on: Stifters Dinge (Music Theatre)