16 May 2023, Max Nyfeller, Schweizer Musikzeitung
Review (de)

Nachdenken über den Krieg – «Songs of Wars I Have Seen»

Ein szenisches Konzert des Orchesters 900presente mit «Songs of Wars I Have Seen» von Heiner Goebbels in Lugano.

[...] Die Amerikanerin Gertrude Stein, Schriftstellerin, Verlegerin und Kunstsammlerin, verfasste ihre Aufzeichnungen 1943–44 im damals von den Nazitruppen besetzten Paris. Der Krieg als konkreter Horror ist weit entfernt, aber im Bewusstsein der Schreibenden hintergründig omnipräsent. Ihre wie beiläufig hingeschriebenen Gedanken kreisen um Alltagserfahrungen. Nachdenklichkeit paart sich mit genauer Beobachtung, unsichere Einschätzung der Lage mit literarischen Erinnerungen und dem Gefühl eines existenziellen Schwebezustands. Das färbt auf die Musik ab. Der transparente und schwerelos wirkende Orchestersatz wird ausgedünnt durch Instrumentalsoli als Ausdruck individueller Reflexionen und durch Momente der Stille, in welche die rezitierten Texte eingebettet sind. Die Aufmerksamkeit des Zuhörers wird permanent wachgehalten. [...]n den musikalischen Verlauf sind einige Zitate des englischen Barockkomponisten Matthew Locke (1621–1677) einmontiert. Auf die Idee kam Goebbels, weil Gertrude Stein auch auf grausame Herrscher aus Shakespeares Dramen wie Richard III. und Macbeth zu sprechen kommt, und weil die Uraufführung 2007 in London stattfand. Auftraggeber war neben der London Sinfonietta auch das auf historischen Instrumenten spielende Orchestra of the Age of Enlightenment. Dieses liess Goebbels in der etwas tieferen historischen und die Sinfonietta in der heute gebräuchlichen modernen Stimmung spielen[...]

https://www.musikzeitung.ch/berichte/2023/05/nachdenken-ueber-den-krieg-songs-of-wars-i-have-seen
on: Songs of Wars I have seen (Music Theatre)