25 May 1998, Verena Auffermann, Süddeutsche Zeitung
Review (de)
Rauchzeichen im Labor
Heiner Goebbels Komposition 'Max Black' im Frankfurter TAT
Heiner Goebbels erzählt in 'Max Black' eine weltbewegende Geschichte, die eigentlich kein Erzählstoff ist. Das tut er immer. Das ist sein Stil. Der fünfundvierzigjährige Komponist, Musiker, Textsammler und -sampler arbeitet am großen Plan, die Musik mit dem Wort, dem Bild und dem Raum so zu verknüpfen, daß Gedanken ein Schaufenster haben. Die Vibration der Gedanken übersetzt Goebbels in Töne. Das Barock gab jedem Ding e ein Echo und einen Sinn. Bei Goebbels hat jedes Ding seinen Klang. Das Klopfen des Bleistifts, der Deckel der Espressomaschine, die Speichen des Fahrrads, das Quietschen des Gummischlauchs. Die Töne werden eingefangen, rhythmisiert und verstärkt. Sie laufen den Gegenständen davon und schließen sich zu einer neuen Form zusammen. Goebbels' einziger Bühnenagent ist Andre Wilms. Der elsässische Schauspieler, der mit den großen Regisseuren Frankreichs und Deutschlands zusammengearbeitet hat, ist der Nachtportier im Schattenreich der Dinge und sein eigener Gefangener. Andre Wilms spielt den zerstreuten Professor, der in seinem Innern auch das listige, tollkühne Kind ist. Als Komiker zieht er Grimassen. Dieser Sklave im eigenen Labor ist ein genialer Untertreiber. Er wischt sich den Schweiß von der Stirn: 'Was tust du den ganzen Tag?' fragt er sich, und antwortet mit Paul Valery: 'Ich erfinde mich.' Denken macht heiß und Erfindung ist schwer. Es züngeln und zischen auf der weiten, wunderbaren TAT-Bühne, deren Tür einmal zur Straße geöffnet wird, damit die Wirklichkeit mit Bremslichtern und Lärm in diese Unterwelt funkelt, die pyrotechnischen Salven (Pierre-Alain Hubert). Diese Feuerbänder und Bälle zeichnen die Brandlinien des Lebens nach. Heiner Goebbels' 'Max Black' muß man sehen, hören und als Orpheusiade des Künstlerlebens, also der Erfinderexistenz verstehen. Max Black ist der Name eines Naturwissenschaftlers, einfach ein aufgegriffener Name, dessen Klang Goebbels gefiel. Andre Wilms spricht in den Worten Max Blacks, den er die Worte Lichtenbergs, Valerys und Ludwig Wittgensteins zitieren läßt. Sein Labor ist seine Höhle und sein Versteck. Um ihn sind Tische, vollgestapelt mit gewöhnlichen Gegenständen. Um ihn ist Finsternis, über ihm hängen beleuchtete Aquarien. In einem dieser Erinnerungs-Glassärge steht ein ausgestopfter Vogel. Zum Schluß, wenn der ganze magische Spuk vorüber und Andre Wilms vom Bürostuhl gekippt und hart auf dem Boden aufgeschlagen ist, ist ein Erfinder erledigt, ein Suchender gestürzt, das Werk eines Künstlers für den Moment gescheitert. Auf einem Plattenteller dreht sich der ausgestopfte Vogel. Der Gesang der Welt ist verstummt, das Feuer ist aus. In dieser Koproduktion mit dem Theatre Vidy-Lausanne wird das Schicksal des Künstlers in zündende Bilder umgesetzt: Neugier, Nervosität, Furor, Besessenheit, Zweifel, Selbstgespräch und Kinderspiel. Herrliche Rauchringe fliegen aus einem Kasten. Andre Wilms fängt sie mit den Händen. Die Ringe lösen sich auf, und mit ihnen verschwindet das Glück des Augenblicks. Rauch kommt und verblaßt, ihm geht es wie den Tönen. Das neue Goebbelsche Denk- und musikalische Echospiel ist jetzt zu Ende. 'Max Black' ist elegisch, klug kalkuliert und nicht mit emphatischen Herzen. Das ist schön so und treaurig. Denn der dunkle Abend, der seine Einfälle so setzt wie ein guter Künstler seine Ideen, verglimmt. Das Feuerband überquert den Schreibtisch und erreicht die Bürolampe, die nach einem kleinen, verwegenen Zögern krachend explodiert.
on: Max Black (Music Theatre)