3 May 2013, Axel Zibulski, Offenbach Post
Review (de)
Klangstrom und Szenen-Sog
Frankfurter Erstaufführung von Heiner Goebbels’ „Landschaft mit entfernten Verwandten“
Eine stringente Opernhandlung gibt es nicht: Derwische tanzen, abgehalfterte Cowboys spielen penetrant schrägen Folk, Stadtmodelle werden mit Mini-Raketen in Brand geschossen: Skurril, bilderreich, voller Assoziationsräume, aber nie langweilig ist das Musiktheater „Landschaft mit entfernten Verwandten“ des 1952 geborenen Heiner Goebbels.
Vor elf Jahren wurde es in Genf uraufgeführt; seither hat es der Wahl-Frankfurter Goebbels, der einst Häuser besetzte und heute die Nähe zum Flughafen schätzt, mehrfach überarbeitet. .
Die 2010 entstandene Frankfurter Fassung der „Landschaft mit entfernten Verwandten“ hatte nun in einer Aufführung der Oper Frankfurt und des Ensemble Modern im Bockenheimer Depot Premiere. Regie führte der Komponist selbst, in den Bühnen- und Lichtbildern von Klaus Grünberg, in den zitatenreichen Kostümen Florence von Gerkans. Der Titel lässt an Bilder früherer Maler denken, und tatsächlich gibt es projizierte Renaissance-Architektur zu sehen, treten Damen im Rokoko-Look auf. Aber eben auch Soldaten, Trommler, Vermummte, Derwische. Zeiten und Räume stehen über Epochen szenisch dicht zusammen, wie in einem unsortierten Museum vielleicht. Nur dass Goebbels’ Musiktheater alles andere als museal wirkt, vielmehr archaisch (in den Trommel-Passagen), geheimnisvoll (in einem Indien-Bild), bissig-ironisch (in der abgehalfterten Wildwest-Szene), auch kontemplativ und verstörend. Ein Kaleidoskop von Szenen eben.
Klare Rollenzuweisungen gibt es nicht, als Solisten treten punktuell lediglich Bariton Holger Falk und Schauspieler David Bennent auf, der einst den Oskar Matzerath in Volker Schlöndorffs „Blechtrommel“-Verfilmung spielte. Die zahlreichen Gruppen-Szenen werden von den Musikern des Ensemble Modern gespielt, getanzt, gesprochen, gesungen: Diese Einbeziehung der Instrumentalisten in die szenische Darstellung hat Goebbels für seine Frankfurter Fassung noch einmal gestärkt, und so sieht man die Mitglieder des Ensemble Modern unter der Leitung von Franck Ollu mit Sturmmasken vor einem Landschaftsbild spielen, Glocken in grell-goldenem Licht schlagen oder eben Trommeln martialisch bedienen. Auch die Texte bilden ein munteres abendländisches Potpourri mit kurzer Hindi-Note. T.S. Eliot ist darunter, Michel Foucault oder Leonardo da Vinci. Wie sich das alles in gut 100 pausenlosen Minuten zu einem szenischen Sog, zu einem Klangstrom und zu einer spannungsvollen Folge sinnlicher Erfahrungen verbindet, lässt sich noch in einigen Folgevorstellungen erleben, die allerdings nahezu ausverkauft sind.
on: Landschaft mit entfernten Verwandten (Music Theatre)