30 November 2007, Hans-Jürgen Linke, Frankfurter Rundschau
Review (de)
Die Oper vom Krieg
Heiner Goebbels' fatalistische Landschafts-Collage
Eine Oper nur zu hören, kann eine enorme Reduktion bedeuten, eine Halbierung und damit Verfälschung ihrer Wirkung. Denn keine Oper ist nur Musik. Musik ist das, was übrig bleibt, wenn am Musiktheater das Theatrale fehlt. Im ungünstigsten Fall ist der Rest eine musikalische Nummernfolge ohne Zusammenhang. Im günstigsten Fall aber ersteht ein eigenständiges Hör-Werk, das auf verweiskräftige Art ein Ganzes bildet. So dass man sich fragt, ob man das alles, was es da zu hören gibt, auch so konzentriert hören könnte, wenn es dazu noch all die theatralen Bilder, Konstellationen und Verläufe gäbe. Bei Heiner Goebbels' "Landschaft mit entfernten Verwandten", die explizit die Gattungsbezeichnung "Oper" verwendet, tritt der letztere Fall ein. Der Grund dafür ist zunächst der große Einzugsbereich des musikalischen Materials, das in dem Stück verarbeitet ist und dazu führt, dass die CD auf den ersten Blick wie eine Sammlung von Songs, Instrumental- und Sprechstücken daher kommt, jedes für sich mit einer klanglichen Prägnanz, aber nie ganz ohne Brüche, Verbiegungen und kommentierende Elemente, also Aneignungsspuren. In der Summe entsteht eine dichte, düstere und zugleich sehr klare Atmosphäre und ein sich langsam entrollender Zusammenhang. Wobei Atmosphäre hier nicht einfach Stimmung meint, sondern einen übergreifenden Zusammenhang aus und in Stimmungen, die sich zusammen zu fügen scheinen wie Luftblasen um ein gemeinsames Gravitationszentrum. Ohne dieses Gravitationszentrum wäre es wohl schwierig, eine Beziehung zu erkennen zwischen einem martialischen vokalen Triumphmarsch und einer kunstvollen Adaption von Sufi-Musi, zwischen einem Hindi-Liebeslied und Texten von Gertrude Stein (aus "Wars I Have Seen"), zwischen einer attackierenden Musik zu einer Anleitung zum Malen von Schlachtengemälden von Leonardo da Vinci ("... und mache keinen ebenen Ort außer den mit Blut gefüllten Fußstapfen") und einem Stück Bluegrass-Musik. Es ist eine Collagen-Ästhetik, die Goebbels hier zu einem schillernden, sprunghaften Stück Musiktheater zusammengezogen hat, das auch ohne Bühne schon theatralisch ist. Den Mittelstreifen dieses assoziativen Wegs durch eine langsam entstehende Geschichte bilden dabei abwechselnd Texte von Gertrude Stein und Henri Michaux, und die gedankliche Blaupause dafür findet sich bei Giordano Bruno. Goebbels verwendet unter anderem eine Passage aus dem ketzerischen "De l'infinito universo e mondi" (1584), in der poetisch, analogisierend und assoziativ Argumente für ein post-christliches Weltbild entworfen sind. Darin geht es nicht mehr hierarchisch zu, sondern heterogen, aber keinewegs idyllisch. Denn die Schrecken des Krieges und des Verderbens, die aus verschiedenen Distanzen und in unterschiedlichster Gestalt Gegenstand dieser Oper sind, erhalten im Gedankenkosmos des Renaissance-Philosophen etwas Unausweichliches: Das Feuer, als eines von vier Elementen, aus denen das Universum besteht, ist voraussetzunglos, ewig und ubiquitär. Dass dieser Zusammenhang nun nicht über ein gut zweistündiges Stück Bühnen-Musiktheater, sondern über gut 75 Minuten Hör-Theater entfaltet wird, gibt dem Stück etwas Konzentriertes. Es zeigt sich, dass Heiner Goebbels eben nicht nur ein äußerst eigenständiger Theaterkünstler ist, sondern auch ein überaus ausdrucksfähiger und idiomatisch versierter Komponist, dem kein klanglicher Mikrokosmos fremd ist. Es ist gerade das Heterogene, das stilistisch absichtsvoll Uneinheitliche im Konstruktionsprinzip dieser Musik, das die ganze Geschichte erzählbar macht. Im Sinne Giordano Brunos.
on: Landschaft mit entfernten Verwandten (CD)