1 September 2008, Alexander Menden, Süddeutsche Zeitung
Review (de)
Echokammer der Selbstzweifel
Heiner Goebbels‚ theatrale Klangmeditation "I Went to the House, But Did Not Enter" wurde in Edinburgh uraufgeführt
Als "inszeniertes Konzert" ist der Abend annonciert. Man könnte an eine Art Gegenentwurf zur konzertanten Oper denken, also an eine Dreingabe theatralischer Elemente, wo die Musik genügen würde. Doch "I Went to the House, But Did Not Enter", das dramatische Kunstwerk des deutschen Genresprengers Heiner Goebbels, das nun beim Edinburgh International Festival uraufgeführt wurde und das vom 24. September an am Schauspiel Frankfurt gezeigt wird, ist weit mehr als ein Konzert, mehr auch als eine Inszenierung von Musik. Was aber ist es? Zunächst ist es ein hoher, grau tapezierter Raum auf der Bühne des Lyceum Theatre, in dem sich vier Männer in ebenso grauen Mänteln und Hüten um einen Tisch versammelt haben. Auf dem Tisch stehen Teegeschirr und Blumen in einer Vase in Pferdekopfform. Schweigend und bedächtig räumen die Männer das Geschirr ab und räumen es ebenso wie die Vase samt Blumen in eine große weiße Pappkiste. Sie tragen den Tisch hinaus und saugen den Teppich, der ebenfalls weggepackt wird. Dann beginnen sie zu singen: von Frauen, die über Michelangelo sprechen, über ein Leben, das in Kaffeelöffeln ausgemessen wird, und vom Ertrinken in den Kammern der Tiefsee. Bei den vier ernsten Herren handelt es sich um die Mitglieder des Hilliard-Ensembles, einer Vokalgruppe, die aus ihrem angestammten Territorium der Renaissance- und Barockmusik immer wieder Vorstöße ins Zeitgenössische wagt. Goebbels hat für dieses superbe Quartett Texte von T.S. Eliot, Maurice Blanchot, Franz Kafka und Samuel Beckett vertont und in lose zusammenhängenden Tableaus angeordnet. Gemein ist ihnen allen die kompromisslos dichte Monologstruktur, der Stream-of-ConsciousnessRhythmus. Goebbels und das Hilliard-Ensemble krempeln diese Texte gleichsam von innen nach außen. Am Beginn steht "Love Song of J. Alfred Prufrock", eins der gefeiertsten, meistinterpretierten Gedichte des 20. Jahrhunderts. Eliots zwischen Bitternis, Komik und Resignation changierender dramatischer Monolog eines in seinen Verklemmungen Eingesperrten ist auf die vier grauen Herren verteilt, die ihrem scheinbar sinnlosen Ab- und anschließenden Wiederaufbau einer Zimmereinrichtung mit heiligem Ernst nachgehen. Die inszenatorischen Elemente verlaufen parallel zum Text, Bezüge ergeben sich nicht zwangsläufig. Und dennoch kommen die Szenerie, Goebbels‚ Musik, die sich im Prufrock-Teil offenbar an Benjamin Britten orientiert, und T.S. Eliots Text eindeutig aus derselben entrückt-erstarrten Welt, die atmosphärisch einem Magritte-Gemälde gleicht. "La folie du jour" des Franzosen Maurice Blanchot ist von einem großen Misstrauen gegenüber der Sprache selbst durchdrungen – ein Aspekt, der dadurch umso stärker hervortritt, dass gerade hier kaum gesungen, sondern fast ausschließlich gesprochen wird. Die Selbstanalyse des Sprechers wird immer wieder von Selbstvorwürfen unterbrochen. Wiederum übernehmen die Ensemblemitglieder, diesmal als Pullunder tragende Pensionisten, Teile des Sprechers. In einem gelben Backsteinreihenhaus, das zu Beginn des Aktes bedrohlich schnell an die Rampe fährt, gehen David James (Countertenor), Rogers Covey-Crump (Tenor), Steven Harrold (Tenor) und Gordon Jones (Bariton) undefinierbaren Beschäftigungen nach. Es wird gebastelt, mit dem Fernglas die Straße ausspioniert, telefoniert, gegurgelt in diesem Vorortgefängnis, dieser Echokammer der Selbstzweifel. Nach einem nachgerade fröhlichen Intermezzo, dem presto vorgetragenen "Ausflug ins Gebirge" von Franz Kafka, trifft man sich in einem riesigen Hotelzimmer wieder, um Urlaubsdias zu betrachten. Heiner Goebbels hat den monadenhaftesten Text, Samuel Becketts Canto "Worstward Ho", für den Schluss aufbewahrt. Dieser selbst für Becketts Verhältnisse undurchdringliche Text fordert den Sprecher mit mildem Trotz heraus, es "wieder zu versuchen" und "besser zu scheitern". Aus dieser zerstückelten, streng durchrhythmisierten Sprache ergibt sich Goebbels‚ Musik gleichsam wie von selbst. Über einer Reihe schlichter Zweiklänge versinken die Darsteller in der Litanei "Nohow less. Nohow worse. Nohow naught. Nohow on" allmählich wieder in der Starre des Anfangstableaus. Wer hier nach Eindeutigkeit, nach dramatischer Linearität sucht, wird das Theater frustriert verlassen. Wer sich aber Goebbels‚ Sprach- und Klangmeditation über zerstückelte Identität und die Unzulänglichkeit selbst der großartigsten Sprache hingibt, die das Hilliard-Ensemble mit mönchischer Konzentration und einem bewundernswerten Gespür für die komischen Untiefen der Inszenierung ausagiert, der erkennt, wie überaus gelungen ein Abend sein kann, an dem es vordergründig nur ums Versagen geht.
on: I went to the house but did not enter (Music Theatre)