13 November 2008, Michael Laages, Deutschlandfunk
Review (de)
Theater-Tricks
"I went to the house but did not enter" im Haus der Berliner Festspiele
"Scheitern. Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern" - eines der meistbenutzten Zitate aus Samuel Becketts Werk (nutzbar als Entschuldigung für manche missratene Inszenierung) stammt aus "Worstword ho", "Auf's Schlimmste zu!", Becketts letztem, 1983 entstandenen Text. Auch dieses fröhlich-finstre letzte Wort ist Teil vom neuen Musik- und Theater-Projekt des Komponisten Heiner Goebbels, für das er das Hilliard-Ensemble als Gesangs- und Darsteller-Quartett gewann. Die Arbeit wurde Ende in August in Edinburgh uraufgeführt und ist seither auf der langen Reise von Koproduzent zu Koproduzent; und so kam sie zwischen Frankfurt, Straßburg und Bozen auch nach Berlin. Viel wurde im Vorhinein geraunt um die "Magie" dieses "szenischen Konzerts"; es sind aber vor allem (neben dem wie immer prächtigen Gesang des Quartetts) erstaunlich viele erstaunlich konventionelle Griffe in die Trick-Kiste des Theaters zu besichtigen. Klaus Grünbergs Bühnenbilder sind kleine Zauberkästen - im ersten (zu "J. Alfred Pufrocks Liebeslied" von T.S. Eliot, einer Elegie auf nicht zustande kommende menschliche Nähe) räumen vier Herren in Mänteln zunächst mal einen gemütlichen Kaffeetisch leer, Tasse um Tasse und Löffel für Löffel, die in einer Umzugskiste links verschwinden. Aus einer anderen Umzugskiste rechts wird dann akkurat das gleiche Service wieder hin gestellt: jetzt ist es schwarz, vorher war's weiß. Auch Eliots Text spielt mit dem Schwarz-Weiß-Motiv - und Goebbels legt eine klare Bild-Spur aus. Im Bild zu Blanchots Text "Der Wahnsinn des Tages", einer Verquirlung unzählbarer Miniatur-Fragmente von Geschichten, erzählen die vier Sänger (jetzt mehr als Sprecher) eben diese Fragment aus den Fensterns eines Dreifamilienhauses mit Garage heraus. Und in der Garage ist sogar einer der Herren mit Wäschetrockner und Funkgerät zugange. Auch eine kleine Explosion darf sein - Blanchots Verrätselung wird fast zur Comedy. Für Becketts Spiel vom Scheitern schließlich muss es gleich ganz ein ganzes Hotelzimmer sein, Ur-Bild theatralischer Szenerien - und darin harrt nun das Quartett zur monton gesungenen Litanei des Beckett-Textes sehnsüchtig am Fenster, wirft die Glotze an (wo es aber nur Rauschen und Elektronik gibt), um zum Ende hin einen altmodischen Dia-Projektor aufzubauen und alte Bilder anzuschauen. In einem der Bilder vom Meer aber verwandeln sich plötzlich die Foto-Wellen zu Film-Wogen - das ist das Meisterstück in der Reihe vieler Tricks, die Theater pur sind. Und die dem beunruhigend trüben Texten viel von der inneren Schwere nehmen - Goebbels hat dazu (durchaus mit erinnernden Anklängen an seine frühe Zeit als Jazz-Musiker und an Größen wie Lennie Tristano oder Gil Evans) auf engstem Raum die Stimmen der vier Hilliards komponiert und arrangiert. Immer geschieht das in schwer gebrochenen, auf dichtester Fläche sich minimal bewegenden Stimm-Klängen - und natürlich wächst den vier Sänger quasi eine fünfte, gemeinsame Stimme. Das ist allerdings bei jedem guten Chor so. Die Hilliard-Herren allerdings zeichnet der unbeirrbare Mut zu schwierigsten Arrangements aus. Und so tragen sie natürlich den Abend. Ihren entspanntesten Moment haben sie in der winzigen Kafka-Szene "Der Ausflug ins Gebirge" - einer der vier bricht da schon mit dem Fahrrad auf, weil er mit Kafkas Text weiß: Die Hälse werden im Gebirge frei! Es ist ein Wunder, dass wir nicht singen! Das von Meistersängern zu hören, und dann noch im strahlendsten Dur - ein leuchtend schöner Moment. Aber ob nun darum gleich "Trost" zu finden wäre in dieser Text-und-Ton-Vermischung (wie die Kritik zuteilen mutmaßte nach der Uraufführung) ... wer weiß. Wir machen's lieber halblang - dem genauen Blick öffnet sich vor allem eine staunenswerte Zauberkiste des Theaters. Nach dem Live-Gespräch rekonstruiert und ergänzt von Michael Laages. I went to the house but did not enter Projekt von Heiner Goebbels Mit Texten von T.S. Eliot, Maurice Blanchot, Franz Kafka und Samuel Beckett Regie: Heiner Goebbels "spielzeit'europa" im Haus der Berliner Festspiele
on: I went to the house but did not enter (Music Theatre)