30 August 2008, Vera Teichmann, Deutschlandfunk
Review (de)
Haus ohne Hüter
Uraufführung von Heiner Goebbels Musiktheater "I went to the house but did not enter"
Deutschlandradio Kultur Beim Internationalen Theaterfestival in Edingburgh gab es in dieser Woche eine besondere Uraufführung - die Weltpremiere eines Stücks von Heiner Goebbels unter dem Titel: " I went to the house, but did not enter", das er im Auftrag für das englische Vokalquartett Hiliard Ensemble komponiert hat. Goebbels hat drei in sich geschlossene Bilder gewählt, jedes einem Text des 20. Jahrhunderts gewidmet. Zentrales Thema von Eliot, Kafka und Beckett: Das Spiel mit den Identitäten. Die ersten dreizehn Minuten wird kein Ton gesungen, kein Wort gesprochen. Es wird umgezogen. Die Stille ist das Geräusch. Vier Männer in grauen Mänteln und dunklen Herrenhüten packen mit aller Kunst der Langsamkeit sorgfältig die Umzugskartons ein und wieder aus. Erst werden die vier Teetassen, die Teekanne, die Pferdekopfvase samt Blumen und Blumenwasser abgeräumt, dann der Tisch, die Bilder der Bullterrier von der Wand, die Gardine, die Gardinenstange und schließlich auch der frisch abgesaugte Teppich. Erst jetzt setzt der erste Gesang ein. Das Hilliard Ensemble singt J. Alfred Prufrocks Liebeslied von T.S. Eliot in der Komposition von Heiner Goebbels. Währenddessen wird das semantische Spiel des Textes von "You und I" auf der Bühne gezeigt. Das in diffuses Licht getauchte Zimmer mit seiner großgemusterten grauen Tapete wird wieder eingerichtet, nur anders. Die Kleiderpuppe, die vorher wie ein weiblicher Torso schien, wird mit Mantel und Hut zur männlichen Figur. Das weiße Porzellan ist nun schwarz, die Bullterrier auf den Gemälden schauen sich nicht an, sondern wenden ihre Köpfe voneinander ab. Das "Ich" und das "Du" werden visuell angedeutet und musikalisch behutsam auseinandergefriemelt, aber in ihrer metaphorischen Grauzone belassen. Die Schwierigkeit der Verortung und Definition des Subjekts und seiner Identität wohnt allen verwendeten Texten inne. Dem Gedicht "Der Wahnsinn des Tages" von Maurice Blanchot, der Kurzprosa "Der Ausflug ins Gebirge" von Franz Kafka oder Samuel Becketts Text "Auf's Schlimmste zu". Heiner Goebbels verzichtet in seinem Stück "I went to the house but did not enter" auf seine bekannten musikalischen Samplings als Verbindung der einzelnen Elemente. Er konzentriert sich ganz auf die Stimmen von David James, Rogers Covey-Crump, Steven Harrold und Gordon Jones. Teilweise treibt er es bis auf Äußerste, bis hin zur akustischen Kakophonie. Goebbels orientiert sich dabei weder an einer akribischen Auseinandersetzung mit Sprachrhythmus wie der tschechische Komponist Leoš Janáček oder einem von Dissonanzen bestimmten Sprechgesang wie bei der Oper "Peter Grimes" von Benjamin Britten. Er schafft etwas Eigenes. Abgesehen von bereits dagewesenen Dingen - den kleinen Schauspieleinlagen der Sänger, Hörspielcollage-Elementen, Knalleffekten wie die Explosion einer alten Waschmaschine oder das Zeigen der Umbauarbeiten - obwohl dieser Mini-Diskurs vom brechtschen Ausstellen des Theaters im Theater nicht nötig gewesen wäre. Goebbels schafft etwas Eigenes, eine kompositorische Hommage an das Hilliard Ensemble. Die Sänger - zwei Tenöre, ein Countertenor, ein Bariton - beeindrucken und verzaubern durch ihre stimmliche Klarheit und Intensität und sind am stärksten in Szenen wie dem als choralartige Litanei dargebotenen Beckett-Text. Die vier Herren unterschiedlichen Alters von weiß über graumeliert und braun bis hin zu blond sind keine Rampensänger. Aber es ist auch keine "alternative Präsenz" wie Goebbels selbst meint, sondern eine sehr ursprüngliche, puristische. "Back to the roots" könnte insgesamt das Motto dieser Inszenierung lauten. Goebbels erfindet das Musiktheater nicht grundlegend neu und bricht nicht mit allen Konventionen. Er wendet sie an. Die Darstellung bleibt tendenziell statisch und auf den Gesang konzentriert, die Bühne und das Licht von Klaus Grünberg ist konventionell in drei Szenen wie bei einer dreiaktigen Oper unterteilt und Heiner Goebbels hat seit rund zwanzig Jahren erstmals wieder am Klavier komponiert. Es tut dem Ganzen keinen Abbruch, im Gegenteil. Die Uraufführung "I went to the house but did not enter" ist kein aufgeladenes Regietheater, das sich in metaphorischer Beliebigkeit verliert. Sondern ein bewusster kompositorischer Versuch Musik und Text zu verbinden, um eine Art Ton-Wort-Lyrik zu gestalten, die ihrer Zwischenzeilen nicht beraubt wird.
on: I went to the house but did not enter (Music Theatre)