12 June 2004, Neue Zürcher Zeitung
Review (de)
Eintauchen in suggestive Klangwelten
Er versteht sich auf unerhörte Klangmagie: Heiner Goebbels, ehedem Impulsgeber unter anderem des "Sogenannten Linksradikalen Blasorchesters" und unlängst Composer in Residence am Lucerne Festival, weiss sich dabei immer wieder auf ebenso ergiebige wie zwingende Engführung von transparenter Musik und assoziativ weit schweifendem Text zu besinnen, die den gewieften Hörspielmacher, Komponisten und Regisseur abseits ausgereizter Schablonen verrät. Von Goebbels' zuletzt anhand des Musiktheaters "Eraritjaritjaka" überprüfbarer Mehrfach-Begabung zeugt auch das Stück "Hashirigaki", eine vor vier Jahren am Theatre Vidy-Lausanne uraufgeführte und seither um die Welt gegangene Koproduktion, die nun auch als "Radioperformance" vorliegt. Der Hörspielfassung (Komposition und Regie: Heiner Goebbels; Dramaturgie: Hans Burkhard Schlichting) liegt eine Aufnahme aus dem Schauspiel Frankfurt zugrunde, die ihren betörenden Sog weniger dem bloss unterschwellig mitschwingenden Live-Charakter als einem mitunter auf Sprachebene klangintensiven Potenzial verdankt, das die spontane Bildfindung auf die Hörer überträgt. Der einem Kabuki-Stück des als "Shakespeare Japans" geltenden Autors Chikamatsu (1653 bis 1725) entlehnte und mit "laufen, eilen, skizzieren, flüssig schreiben" zu übersetzende Titel steht für eine evokative Radioarbeit, die Gertrude Steins latent verstörendes Prosaexperiment "The Making of Americans" (1925) mit den einlullenden "Pet Sounds" (1966) der Beach Boys sowie traditioneller japanischer Musik verschränkt und dabei konsequent einem durchdacht spielerischen Zugriff vertraut. Im Ansatz zu erkennen bereits in der mehrsprachig interpretierten Ansage der Originalbesetzung mit der Schwedin Charlotte Engelkes, der Frankokanadierein Marie Goyette und der Japanerin Yumiko Tanaka, die auch Steins repetitiv rhythmischen Reflexionen zu familiärem Befinden wiederholt eine leicht ironische Note verleihen. Verbale Endlosschlaufen wie "One is doing something and then doing that thing and then doing that thing again..." und fast schon meditativ oszillierend in eine Erkenntnis ("it does sometimes make me very uncertain about everything") mündende Aufzeichungen lösen sich da - auch einer Absicht der etwa mit Picasso, Apollinaire und Satie vertraut gewesenen Autorin gehorchend - einmal einzeln, dann wieder unisono gesprochen von ihrer ansonsten transportierten Bedeutung. Was bleibt, ist nachhallender (Wort-)Klang, umwabert zum einem vonm innovativen Sound Brian Wilsons auf Seiten der Beach Boys, zum anderen vom bisweilen einschmeichelnden Gesang Tanakas und hier wie dort grundiert mit einem hellhörig machenden Instrumentarium (Theremin, Harmonium, Perkussion). Das auch mit dem finalen Bekenntnis "I Just Wasn´t Made For These Times" der drei beschlagenen Vokalistinnen nicht lauernder Melancholie erliegende Hörstück lässt uns nach sechzig im besten Sinn kurzweiligen, weil nie in gespreizte Tiefsinnigkeit oder schwere Monotonie abgleitenden Minuten denn auch seltsam erheitert zurück - die suggestiven Klangwelten des Heiner Goebbels generieren (einmal mehr) einen erfrischenden Mehrwert. (rer)
on: Hashirigaki (Audio Play)