25 August 2013, Markus Gründig, Kulturfreak.de
Review (de)
Delusion of the fury Ruhrtriennale 2013 ~ Jahrhunderthalle Bochum
Mit “Täuschung des Zorns” könnte man den Stücktitel von Harry Partchs 1969 uraufgeführtem Werk übersetzen. Zum Verständnis des Werks trägt der Titel jedoch alleine nicht viel bei. Schon eher der Untertitel „A Ritual of Dream and Delusion“, also ein Ritual von Traum und Täuschung. Denn es handelt sich hierbei nicht um ein dramaturgisches Stück im klassischen Sinn, auch wenn es aus zwei Akten besteht und zwei Geschichten erzählt werden. Es ist eher ein Konzert mit szenischen Elementen. Denn die Musik steht eindeutig im Mittelpunkt. Und diese ist einmalig und herausragend. Der US-amerikanische Experimentator, Klangforscher und Komponist Harry Partch (1901 – 1974), sich stets am ökonomischen Rand der amerikanischen Kultur bewegend, schuf nicht nur mystisch anmutende rhythmische und atonale Klangskulpturen, er verließ die herkömmliche Notenskala (mit 12 Tonstufen innerhalb einer Oktave) und entwickelte in den 30er-Jahren des vorigen Jahrhunderts seine eigene, 43tönige Skala (auf der Basis der „reinen“ ptolemäischen Intonation), die Microtonal Musik. Hierfür konstruierte er über 25 eigene Instrumente. Für den Bau ließ er sich von griechisch-antiken und mittelalterlichen Theoretikern inspirieren oder baute konventionelle Instrumente für seine Zwecke um. Seine Sammlung befindet sich heute im zur Montclair State University gehörenden Alexander Kasser Theater in USBundesstaat New Jersey. Das Ensemble musikFabrik (Landes-Ensemble Nordrhein-Westfalens für zeitgenössische Musik) hat sich nun in Zusammenarbeit mit der Ruhrtriennale die Mühe gemacht, die meisten von Partchs Instrumenten nachzubauen und damit seiner Musik Gehör zu verschaffen (wobei es immerhin eine von Harry Partch überwachte Aufnahme der Uraufführung gibt). So spricht Heiner Goebbels, Intendant der Ruhrfestspiele 2012-2014 und Regisseur dieser Aufführung, denn auch im Vorwort des Programmhefts zu Recht von einem absoluten Glücksfall, dieses Projekt gemeinsam mit dem Ensemble musikFabrik (unter Federführung des Schlagzeugers und Instrumentenbauers Thomas Meixner) realisieren zu können, gilt es doch als Schlüsselwerk und musikalische Quintessenz von Partchs OEuvre. Und der zuständige Musikverlag (Schott Musik, Mainz) führt hierzu aus: „Mit der Verwendung von 25 dieser Spezialinstrumente bietet Delusion of the Fury die Chance, das musikalische Universum eines der ungewöhnlichsten amerikanischen Komponisten des 20. Jahrhunderts in all seinen Schattierungen und seiner hypnotischen Kraft zu erleben“. Das knapp eineinhalbstündige Werk hat in der Jahrhunderthalle Bochum seine europäische Erstaufführung, was aufgrund der Anforderung an die Instrumente nicht verwundert. Gleichzeitig wurde damit die diesjährige Ruhrtriennale eröffnet. Nachfolgende Aufführungen in Holland, Norwegen und den USA sind bereits geplant. Die Bühnenfläche in der Halle 4 der Bochumer Jahrhunderthalle ist mit Partchs Instrumenten voll gestellt. Eine szenische Spielfläche ist nicht wirklich auszumachen. Ein Wasserlauf, der Kulturfreak.de 25.08.2013 in einem flachen Bassin in der Bühnenmitte endet, vier schwingbare Großleuchten im asiatisch anmutenden Stil, eine Anzeigentafel für die Szenentitel und sich aufblasende Riesensteine sind die einzigen Requisiten. Denn das Hauptaugenmerk gilt den Instrumenten, die aufgrund der ungewöhnlichen Optiken beeindrucken und bestaunt werden wollen, visuell und akustisch. Herausragend beispielsweise „Spoils of War“ („Kriegsbeute“; ein Schlagwerk u.a. für Glaskörper, Glocken und Holzrohren), „Gourd Tree & Cone Gongs“ („Kürbisbaum und Kegel-Gongs“; eine Art Glockenspiel) und die „Marimba Eroica“ („Heroisches Aufschlagidiophon“; vertikal stehendes Schlagwerk mit aufliegenden Resonanzkörpern, gespielt mit massiv gedämpften Trommelstöcken). Das, überwiegend aus Männern bestehende, Ensemble musikFabrik, ist mit hinreißender, großer Leidenschaft konzentriert wie intensiv dabei. Die Musiker sind bei Partch nicht nur Spieler ihrer Instrumente, sie sind auch Darsteller des szenischen Geschehens und singen solistisch und chorisch. Dabei beeindruckt am meisten, dass es einen musikalischen Leiter nicht zu geben scheint, auch wenn natürlich einzelne Musiker die Einsätze vorgeben (Musikalische Einstudierung: Arnold Marinissen). Keiner spielt sich in den Vordergrund, wie eine harmonische Familie wirkt das Ensemble. Dennoch ragen einzelne Mitglieder rollenbedingt heraus, wie Christine Chapmann als alte Ziegenhirtin und Axel Porath als tauber und kurzsichtiger Friedensrichter. Sehr wichtig war Partch auch die Ausleuchtung seiner Aufführung, hier sorgt Klaus Grünberg für abwechslungsreiche Momente, da er Bühne und Licht geschickt miteinander verwebt und so archaisch anmutende Stimmungen hervorzaubert. In diese fügen sich auch sehr schön die Kostüme von Florence von Gerkan ein (einfache Straßenkleidung, die auch als Anspielung auf Harry Partchs Landstreichertum gesehen werden kann oder grüne Decken für die Schaf- Szene im zweiten Akt). Es erklingen ungewohnte Töne voller Poesie und Schönklang. Mitunter ist selbst die Nähe zu den zur Zeit der Uraufführung angesagten Beatles oder den Beach Boys erkennbar, wenn für kurze Sequenzen fast in klassischer Harmonie gesungen wird. Am Ende lang anhaltender, intensiver Applaus und vereinzelt Standing Ovations. Diese Ausnahmeaufführung sollte man sich nicht entgehen lassen.
on: Harry Partch: Delusion of the Fury (Music Theatre)