„DELUSION OF THE FURY“ VON HARRY, Peter Jungblut, BR.de
Review (de)

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Er will sein Publikum vor allem zum Staunen bringen, will es irritieren, verblüffen, überraschen, will neugierig machen auf das Abseitige, Unbekannte, Exotische. Was könnte heutzutage schwerer sein? Aber Heiner Goebbels, der Intendant der Ruhrtriennale, bleibt seinem Grundsatz auch im zweiten Jahr konsequent treu und ist dabei erstaunlich erfolgreich. Geradezu leidenschaftlich geht Heiner Goebbels Wagnisse ein, und deshalb scheute er auch nicht die Arbeiten des hierzulande völlig unbekannten amerikanischen Komponisten Harry Partch. Der Mann war ein echter Aussteiger, eine wahre Künstlernatur, schlug sich zeitweise als Landstreicher durchs Leben, erfand über dreißig Musikinstrumente und ein ganz neues Tonsystem. Kurz und gut: Bis zu seinem Tod im Jahr 1974 scherte sich Harry Partch nicht im Geringsten um die europäische Klassik, um Traditionen und Gewohnheiten. Er ging seinen eigenen Weg, fernab des Konzert- und Opernbetriebs. Dabei entstand ein so faszinierendes und befremdliches Stück wie "Delusion of the fury" aus dem Jahr 1966, das gestern Abend in der Jahrhunderthalle in Bochum zum ersten Mal in Europa zu hören war. Den englischen Titel zu übersetzen - etwa "Die Einbildung der Raserei" - bringt wenig. Harry Partch erzählt keine Geschichte, kennt keine Melodien, sondern führt dem aufgeschlossenen Publikum ein Ritual, eine bildmächtige Zeremonie vor, inspiriert vom japanischen No-Theater und von einem afrikanischen Volksmärchen. Komödie folgt auf Tragödie, wie in der Antike. Das alles ist jedoch zweitrangig. Bei Harry Partch stehen die eigentümlichen, fast ausschließlich hölzernen Schlag- und Zupf-Instrumente im Mittelpunkt. Das eigentlich Spannende ist die Art und Weise, wie die Töne hervorgebracht werden, wie diese Musik entsteht. Tatsächlich gerät das Publikum sofort ins Staunen über dieses nie gesehene Orchester, das auf der Bühne aufgebaut ist. Kein einziges bekanntes Instrument! Stattdessen ein Chromomelodeon und eine Blue Rainbow, eine Marimba Eroica und Castor und Pollux, und vieles mehr. Ein Gebirge aus Holz - Harry Partch war angetan von den riesigen kalifornischen Redwood-Bäumen. Er schätzte die reinen Naturtöne, experimentierte mit kleinen und kleinsten Tonhöhenunterschieden und schuf einen Klangkosmos, der sehr viel ergreifender und magischer ist, als die meist sehr verkopfte, kühle europäische Avantgarde. Heiner Goebbels, der die Regie übernommen hatte, ließ zwischen den Harry-Partch-Instrumenten Wasser fließen, Nebel wallen und Feuer entzünden. Ein schwarzes Gebirge türmt sich auf, riesenhaft steigt die Sonne dahinter auf. Das mag sich esoterisch anhören und beliebig, blieb aber immer im Ungefähren, rätselhaft, verwirrend und für das Publikum somit eine Herausforderung, die es überwiegend gern annahm. Harry Partch ist kein theorielastiger Komponist, der dröge seine Weltanschauung vor sich herträgt. Er hat Humor, er ist seelenvoll, wahrhaftig, unkompliziert und somit im besten Sinne amerikanisch. Wieder einmal wurde deutlich, dass es kein Jahrzehnt mit den sechziger Jahren aufnehmen kann, wenn es um visionäre Kraft, um Utopien, um Mut und Entdeckerfreude geht. Spannende 75 Minuten zum Auftakt der Ruhrtriennale, mehr Expedition als Experiment, und Begeisterung für den Klangkosmos des Harry Partch. Er machte keine Kompromisse, und deshalb große Kunst.

on: Harry Partch: Delusion of the Fury (Music Theatre)