26 August 2013, Hans-Jürgen Linke, Frankfurter Rundschau
Review (de)
Wut, Wahn und ein Recht ohne Wahrheit
Heiner Goebbels inszeniert in Bochum zur Eröffnung der Ruhr-Triennale Harry Partchs Delusion of the Fury
"....Heiner Goebbels, Theaterkünstler und Komponist, ist mit Harry Partchs Werk in den achtziger Jahre bekannt geworden, als zum ersten Male in Europa Schallplatten mit seiner Musik auftauchten. In seiner eigensinnigen theatralen Ästhetik, seinem weiten thematischen Einzugsbereich und seinen kritischen Haltungen hat Goebbels einen Geistesverwandten ausgemacht. Die Arbeit an einem nicht-arbeitsteiligen Musiktheater, die künstlerische Gestaltung politisch akzentuierter und kulturhistorisch ausgeweiteter Gedankengebäude - das sind zwei grundlegende Gemeinsamkeiten zwischen beiden. Kein Wunder also, wenn Thomas Meixners vorbildgetreue Nachbauten des von Partch erfundenen Musikinstrumentariums auf der Bühne ein wenig an Goebbels' Installations- Musiktheater "Stifters Dinge" erinnern (das die Ruhr-Triennale ab 22. September in einer "unguided Tour" präsentiert). Kein Wunder auch, wenn man Parallelen etwa zur Ästhetik älterer Bühnen-Produktionen Heiner Goebbels' mit dem Ensemble Modern erkennt. Was auf der Bühne zu sehen ist, geht jedoch weit hinaus über alle Referenzenseligkeit. Goebbels' Regiearbeit ist keine monomanische Aneignungsbewegung, sondern erkennbar als respektvolle Teamarbeit, bei der theatrale Arbeitsteilung nicht einfach negiert, sondern als Folge intensiver Zusammenarbeit von Musikern, von Ausstattung, Sounddesign, Lichtkunst und Dramaturgie überwunden und auf einer sanft über den ärgerlichen Dingen des Alltags schwebenden Ebene zusammengeführt wird. Es ist ein großes und durchaus naives Vergnügen, den Musikern des Ensembles musikFabrik zuzusehen, wie sie mit Präzision und Engagement die Bühne bespielen, mit sich und mit einer Musik, deren Fremdheit, Eigentümlichkeit und Bühnenpräsenz dem Anblick der Instrumente entspricht; ihnen zuzuhören, wie sie als Instrumentalisten und Sänger konsequent eine falsch klingende, weil obertonbasierte Stimmung gegen gängige Spiel-, Sing und Hörgewohnheiten realisieren und dabei zu erleben, wie man nach einiger Zeit das alles zu akzeptieren und darin zu Hause zu fühlen beginnt und dabei immer wacher und aufmerksamer wird. Unterdessen entfalten die weichen Tiefstton-Impulse der riesigen Marimba Eroica ihre Wirkung unterhalb des hörbaren Spektrums, also weniger an den Gehörknöchelchen als am Brustbein, den Mittelfußknochen und am Schienbein, so dass von ihnen eine tief beunruhigende Wirkung ausgeht, die andererseits vom beruhigend linearen, belebenden Pulsen des verspielten Perkussions-Instrumentariums wieder eingefangen wird...." "Harry Partchs Musik klingt nicht wie Opernmusik irgendeiner vertrauten Provenienz. Heiner Goebbels' Theater sieht nicht aus wie eine Inszenierung. Der Stoff und seine Realisierung fügen sich zu einer weltabgewandten Gegenwärtigkeit. Ihre Wirkung ist nicht neutönerisch provokativ, sondern suggestiv und magnetisch. Ironische Einsprengsel durchziehen ein grundierendes archaisches Pathos mit ikonografischen Kostümierungen, wulstigen Landschaftsteilen, mit Feuerstellen, mit Wasser, das seinen Weg abwärts durchs Bühnenbild nach vorn findet, auf dem Boden des alten Industriereviers, in der schwingenden Luft einer eigentümlichen Musik."
on: Harry Partch: Delusion of the Fury (Music Theatre)