25 May 1998, Peter Hagmann, Neue Zürcher Zeitung
Review (de)

Geburtstagsgruß

'Eislermaterial', ein inszeniertes Konzert von Heiner Goebbels in München

In wenigen Wochen wird der hundertste Geburtstag von Hanns Eisler zu begehen sein, aber viel Aufhebens wird darob nicht gemacht werden. Der deutsche Komponist leidet an seinem Ruf. Sein Schaffen für den Konzertsaal gilt als vernachlässigbar, die politische Musik als veraltet: als klingender Einsatz für linkes Denken und einen inzwischen untergegangenen deutschen Staat. Heiner Goebbels allerdings bekennt frei, daß er ohne Eisler nicht wäre, was er ist. In den frühen siebziger Jahren hat er in Frankfurt die Lieder Eislers und seine Interviews entdeckt; kein Zweifel, daß die Arbeit mit dem 'Sogenannten Linksradikalen Blasorchester', mit der Goebbels seinen Ruf begründet hat, und die vielen zwischen Hörspiel und Oper angesiedelten Projekte, mit denen er als Komponist ganz eigener Art bekannt geworden ist, in hohem Maß von der Ästhetik Eislers geprägt sind. So liegt es nahe, daß Goebbels für den anstehenden Geburtstag einen Gruß in seiner Handschrift vorbereitet hat. 'Eislermaterial' heißt das eine gute Stunde dauernde Stück, das für die 'musica viva' in München entstanden und in der Muffathalle mit großem Erfolg aus der Taufe gehoben worden ist. Zu sehen ist ein Podium, an dessen drei Rändern die Mitglieder des Ensemble Modern aus Frankfurt aufgestellt sind; in der Mitte mehrere Stapel mit den roten Bänden der Gesamtausgabe und eine Statuette des Komponisten, die bisweilen angeleuchtet wird und so seine Figur als übergroßen Schatten an die Wand wirft. Eine Handlung gibt es nicht, wohl aber einen klaren inneren Verlauf; auch der Dirigent fehlt (was bei Eisler seine spezielle Richtigkeit hat), dafür wird - nach einem Konzept von Jean Kalmann - intensiv mit Licht gearbeitet: ein inszeniertes Konzert und ein klingendes Portrait, das einen durch seine starke atmosphärische Wirkung völlig in den Bann schlägt. Ihren Ausgang nimmt diese Wirkung bei dem Schauspieler Josef Bierbichler, der hier als Sänger eingestetzt ist. Mit schütterer Stimme, aber blitzsauber intoniert und bis ins letzte Wort verständlich, singt Bierbichler eine Reihe von Liedern Eislers - womit Goebbels an jene Tonaufnahmen anschließt, die den Komonisten in seinen späten Lebensjahren als Interpreten eigener Werke hören lassen. Nichts aggressiv Kämpferisches teilt sich da mit, vielmehr kommt durch diesen zarten Vortrag die Ehrlichkeit eines grundmenschlichen Engagements zum Ausdruck. Das Spektrum reicht von jener Hymne, die Eisler für ein imaginäres wiedervereinigtes Deutschland geschrieben hat, über seine Brecht-Vertonungen bis hin zu Liedern, die von einer anrührenden Melancholie zeugen. Dazwischen stehen Passagen harter, improvisiert wirkender Musik und Collagen aus Gesprächen mit Eisler, wie sie Goebbels so kunstvoll zu fertigen weiß. Darin ist 'Eislermaterial' auch ein Stück echter Basisarbeit." (Peter Hagmann)

on: Eislermaterial (Music Theatre)