27 July 1998, Heinz Rögl, Salzburger Nachrichten
Review (de)
"Nicht nur Brecht, auch Hanns Eisler"
Das Ensemble Modern und Sepp Bierbichler mit 'Eislermaterial' im Wiener Konzerthaus
In seinem 100. Geburtsjahr widmet das Ensemble Modern Hanns Eisler, dem Schönberg Schüler, Brecht Gefährten und humanistischen Kommunisten, gleich zwei Projekte: Mit HK Gruber, in den Fußstapfen des Sängers Ernst Busch, hat es bereits eine CD mit Orchestersuiten und Songs aufgenommen. Auch Heiner Goebbels, Hörstück- und Musiktheaterkomponist, realisierte mit dem Ensemble und dem Schauspieler Josef Bierbichler ein seinem großen Vorbil gewidmetes Programm. 'Eislermaterial' ist eine durchkomponierte Montage von Musik, Kampfliedern und Theatersongs, teils in neuen Arrangements, teils im Original belassen. Goebbels, von Eislers Haltung als Komponist entscheidend beeinflußt, stellt den agitatorischen Stil der dreißiger Jahre dem zarten, melodiösen und melancholischen Eisler gegenüber, der fast ein wenig wie Schubert klingt. Mit dem in der schönsten Hymne, die je für Deutschland geschrieben wurde, musikalisch ausgedrückten (vergeblichen) Traum vom 'besseren Deutschland' der DDR-Anfänge setzt die Hommage ein. Josef Bierbichler, im Rund des Ensembles sitzend und aus diesem nicht weiter hervortretend, beeindruckt mit seiner hellen Stimme, die an Eislers eigenen Vortragsstil erinnert, und seinem unprätentiösen Vortrag, einem 'Sprechen in den vorgeschriebenen Tonhöhen'. Er singt ungemein eindrucksvoll die 'Wiegenlieder einer proletarischen Mutter', 'Vom Sprengen des Gartens', 'Mutter Beinlem', 'Die haltbare Graugans' u.a., zuletzt 'Und endlich stirbt die Sehnsucht doch' nach einem Peter-Altenberg-Text. Dazwischen heiße instrumentale Agitpropklänge ('Vorwärts und nicht vergessen' aus der 'Kuhle Wampe'-Filmmusik und Teile der Bühnenmusik zu 'Die Mutter'), hinreißend gespielt und ins Improvisatorische verlängert à la Charlie Hadens 'Liberation Music Orchestra'. Revolutionäre Instinkte dürfen ausgelebt werden. Liebevoll, ein wenig ironisch und sehr kenntnisreich zusammengestellt wird auch Hanns Eislers Sprechen über Musik und Politik zum integralen Teil dieser musikalischen Séance. Aus den - heute noch lesenswerten - Gesprächen Eislers mit Hans Bunge ('Fragen Sie mehr über Brecht') hat Goebbels eine Tonbandcollage montiert, in denen der druckreif formulierende, eifernde Dialektiker Eisler vor unseren Ohren wiederaufsteht, wie er leibte und lebte: 'Das sind entzückende Widersprüche! Das muß man so machen, sonst ist es nicht gut! Traurige Musik muß den Grund der Traurigkeit nennen. Ich könnte ja auch einen feschen Marsch schreiben. Wer die Zukunft haben will, muß die Vergangenheit bewältigen!" (Heinz Rögl)
on: Eislermaterial (Music Theatre)