28 August 2004, Roberto Becker, Neues Deutschland
Review (de)
Melancholische Hommage
Heiner Goebbels' "Eislermaterial" beim Kunstfest in Weimar
"Heimweh" ist Nike Wagners Motto für ihr erstes Kunstfestjahr in Weimar. Und wenn das Ensemble Modern, brav aufgestellt in nach vorne offener Appellformation, mit einer bläsersatten, streicherflankierten Einstimmung beginnt, bei der eine Sequenz von »Auferstanden aus Ruinen« erkennbar wird, und dann auf die Melodie von »Anmut sparet nicht noch Mühe« einschwenkt, dann ahnt man, was gemeint sein könnte. Ein ostalgischer Liederabend ist es dennoch nicht. Sondern eine ziemlich vergnügliche Hommage an den DDR-Komponisten – der sich freilich nicht auf den Staat beschränken lässt, dem er die Hymne komponierte. Nicht nur, weil man ihn dort so nervte, dass er den Plan zu seiner Faust-Oper begraben musste (eine jüngst von Friedrich Schenker in Kassel erledigte Hausaufgabe der deutsch-deutschen Kulturgeschichte). Eisler gehört in die Musik- und die Zeitgeschichte, war immer politisch. Der in Neustadt an der Weinstraße aufgewachsene und seit 1972 in Frankfurt am Main lebende Komponist Heiner Goebbels, Jahrgang 1952, hat über ihn nicht nur seine Soziologie-Diplomarbeit geschrieben, sondern durch die (geistige) Begegnung mit Eisler vor allem seinen Weg zur so genannten Neuen Musik gefunden. Eisler ist eine alte, initialzündende Liebe des mittlerweile hochangesehenen Komponisten. Der so Verehrte steht sogar als Denkmal auf der Bühne des Nationaltheaters. Vorn in der Mitte, zwischen verstreut herumliegenden, rot eingeschlagenen Partituren. Aber die Bronze ist klein genug für jene liebevolle Respektlosigkeit, mit der sich Goebbels Eisler-Motive anverwandelt, Klassenkämpferisches und melancholisch Witziges kombiniert und mit Gesprächsdokumenten versetzt, die er zu einer freien Toncollage verarbeitet hat. Einmal wird die Plastik so angestrahlt, dass sie einen Riesenschatten wirft. Josef Bierbichlers Wie-nebenbei-Gesinge, das sich nur manchmal in die weiche Härte eines zugespitzten Satzes aufschwingt, der warme Bläserglanz und die Drummer-Eskapaden, Eislers eigene Sprechstimme, die Überraschung des Witzes neben der verbal geballten Faust, das wirkt vor allem anheimelnd, sympathisch. Im melancholischen Leuchten des Saxophon-Sounds scheint so vor allem die Erinnerung an die beflügelnde Kraft einer Utopie auf. Das kann man Heimweh nennen. Heute. (Roberto Becker)
on: Eislermaterial (Music Theatre)