27 November 2002, (göt), Stuttgarter Zeitung
Review (de)
Heiner Goebbels" "Eislermaterial"
Zärtlichste Ehrerbietung
"Auferstanden aus Ruinen" war nicht das beste Werk Hanns Eislers, aber von den Nationalhymnen dieser Welt gehört sie zu den schönsten. Leider DDR. Nun singt der Osten wieder "Einigkeit und Recht und Freiheit" - es ist ein Jammer. Halten wir uns also an den Rest, und der gehört zum Besten des 20. Jahrhunderts. Die Musik Eislers - erst Schönberg-Schüler, dann Schönberg-Verächter und später still versöhnt mit Papa Zwölfton - hatte es Heiner Goebbels, dieses Jahr fünfzig geworden, von jeher angetan: als er zum Soziologiestudium nach Frankfurt kam, erst recht als er mit seinem "Sogenannten Linksradikalen Blasorchester" die linkskorrekte blechbrachiale Musik zum klassenkämpferischen Straßenunwesen benötigte. Eisler, in Wien geboren, nach Hollywood emigriert, in Ostberlin gestorben, bot ihm dazu das Material. Daraus montierte Goebbels 1998 die gültigste Ehrerbietung an den Großen: "Eislermaterial", uraufgeführt vom Ensemble Modern und Josef Bierbichler, dem Tom Waits unter den deutschen Singschauspielern - nur besser. Das Wunderbarste an Goebbels "Eislermaterial" sind nicht die rosahorizontenen Zärtlichkeiten ("Anmut sparet nicht") und das graue Grauen ("Über den Selbstmord") der Lieder oder der bretternde Orchesterwahnsinn der marschierenden Arbeitsstiefel: Es sind Eislers eigene Stimme, seine Worte, die Goebbels in zwei Hörstücken zum unsinnigsten Sinn "komponiert" hat. Fraglos, das ist die CD des Jahres.
on: Eislermaterial (CD)