20 September 2002, Joachim Mischke, Hamburger Abendblatt
Review (de)
Eisler entdecken
Hör-Test
"Heiter, elegant und leicht" solle die Musik sein, hat der Schönberg-Schüler Hanns Eisler einmal gefordert. Als der Theatermusiker Heiner Goebbels sein "Eislermaterial" zu einer Hommage an den klassenkämpferischen Komponisten zusammentrug, ist er von dieser Parole immer wieder konsequent abgewichen. Goebbels kombinierte Arbeiterlieder mit Orchesterwerken, ließ freie Improvisationen einfließen, montierte einige Original-Zitate Eislers dazwischen und stellte so dialektische Zusammenhänge zwischen extrem unterschiedlichen Werken des späteren Exilanten dar. Der "ganze" Eisler wird damit nicht erfasst, aber die Neugier auf eine faszinierende deutsche Künstlerpersönlichkeit geschärft. Das Ensemble Modern und Goebbels selbst haben dieses als "szenisches Konzert" bezeichnete Projekt vor rund zwei Jahren bei einem denkwürdigen Abend im Schauspielhaus vorgestellt, jetzt - endlich - ist das Ganze auch bei ECM auf CD erschienen. Ruhepol und Zentrum: der verdruckste, faszinierende Falsettgesang vom bayerischen Urgestein Sepp Bierbichler. Ein Kammersänger wird er damit nicht mehr werden, obwohl er sich mit Christoph Marthaler bereits an Schubert-Liederabende wagte. Aber seine Stimme, die zu den Markenzeichen der Hamburger Ära von Frank Baumbauer gehörte, prägt den Gestus der Collage, die gekonnt zwischen Ironie und Wut balanciert. Und dass es bei Eisler noch viel zu entdecken gibt, beweist nicht zuletzt auch der heutige Liederabend in der Staatsoper, bei dem seine Kammerkantaten im Mittelpunkt stehen.
on: Eislermaterial (CD)