Rede anläßlich der Verleihung der Goethe-Plakette
Ich freue mich, daß Sie alle gekommen sind und freue mich über die hohe Auszeichnung; ich möchte der Stadt dafür danken.
Herr Nordhoff, Ich danke Ihnen auch für Ihren Versuch meine etwas kompliziert zu kategorisierende Biografie aufzurollen. Letztlich ist es ja doch wohl so, daß ich nirgendwo so richtig mitten rein gehöre:
- die Theaterleute sagen oft "das ist Musik, davon haben wir keine Ahnung", selbst dann, wenn ich mit richtigen Schauspielern und ganz viel Text arbeite...
- die Opernleute nehmen meine Arbeiten nicht als Anregung auf, weil bei mir zu wenig gesungen wird....
- in der Neuen Musik gehören meine Kompositionen auch nicht zum dort vorgängigen Jargon...
- an der Universität bin ich wahrscheinlich der einzige, der keinen Doktortitel hat und keine Krawatte
- und die Jazzer haben inzwischen auch gemerkt, daß das nicht meine einzige Leidenschaft war.
Und wenn ich die diversen Festivitäten im Zusammenhang mit meinem Geburtstag anschaue - letzten Samstag quasi subkulturell unter der dröhnenden Honsellbrücke, heute im Römer, und demnächst in der Alten Oper, im Künstlerhaus Mousonturm und im Schauspiel - werde ich mich vielleicht hinterher fragen, an welchem dieser Orte, Szenen, Kulturen habe ich mich denn wirklich heimisch gefühlt? Und vielleicht werde ich dann ja sagen: an keinem. Deswegen bin ich über diese Veranstaltungsserie auch sehr froh, weil mich eher genau die Spannung dieser Orte zueinander interessiert, und ich mich eher an der Differenz zu den klar umrissenen und vorhersehbaren Kontexten zuhause sehe - und zu Hause in Frankfurt.
Deswegen muß ich mich gegen Vereinfachungen wehren und auch, Sie werden mir das verzeihen, ein paar Dinge richtigstellen:
- Ich bin sicherlich nicht dafür verantwortlich zu machen, daß "Frankfurt als Ort der Neuen Musik wahrgenommen" wird. Das ist einzig und allein Verdienst des Ensemble Moderns und seiner wunderbaren Mitglieder.
- Ich habe auch nie, wie mir eine Journalistin vor kurzem unterstellen wollte "mich wegen mangelnder Unterstützung durch die Stadt beklagt"; ich habe zwar Entscheidungen kritisiert, aber auch immer betont, daß ich ein realistisches und kein gewerkschaftliches Verhältnis zu dieser Stadt habe und weiß, daß der Preis für meine künstlerische Unabhängigkeit eben ist, nicht mit Millionenabfindungen rechnen zu können, wenn meine Stücke mal nicht gespielt werden. Gelassen stimmt im Laufe der Zeit auch die Tatsache, daß man dabei auch so manchen, der Vielen das kulturelle Leben schwer gemacht hat, zwar verärgert kommen - aber auch wieder gehen sieht.
- Ich soll auch richtigstellen - hat meine Mutter gesagt - daß ich nicht - wie kürzlich eine große Frankfurter Tageszeitung schrieb - aus der alternativen Frankfurter Szene stamme, sondern aus einer anständigen christlich - rheinischen Familie. Aber sie sehen schon am Widerspruchsgeist meiner Mutter, daß sich das gar nicht ausschließt.
Ihre erste Reaktion war übrigens auch "ich hätte doch den Goethe gar nicht gelesen", womit sie gar nicht so unrecht hat (stattdessen kenne ich mich bei Büchner und Kleist besser aus). Aber warum auch soll es Goethe besser gehen als mir. Schließlich haben sicher die meisten, die darüber abgestimmt haben, ob mir diese Plakette zukommt oder nicht, auch meine Musik noch nie gehört. Und ich nehme auch gerne den Kulturdezernenten in Schutz, er hätte in den Jahren seiner Tätigkeit hier in der Stadt auch kaum Gelegenheit dazu gehabt, weil man in dieser Zeit hier von mir kaum etwas hören konnte.
Es gibt für mich aber keinen Grund zur Klage. Seitdem ich in Frankfurt nicht mehr produzieren kann - weil es diese Form des Theaters / Musiktheaters am TAT nicht mehr gibt und die Gelder nicht mehr in freie Produktionen und aufregende Gastspiele, die sich in der Erinnerung einbrennen, sondern in Ensemble-Verträge fließen -, seitdem arbeite ich in der Schweiz, entweder im theatre vidy oder wie jetzt an der Genfer Oper, in jedem Fall also am Genfer See und man muß sich das so vorstellen: das Theater ist ein Flachbau am Ufer des Genfer Sees, bei schönem Wetter stellt man in der Mittagspause die Tische auf die Wiese und springt nach dem Genuß frischer Fische vor der Nachmittagsprobe mal kurz in den See; da kann das Depot gar nicht mithalten.
Denjenigen, die meine Arbeiten dennoch kennen, wird vielleicht aufgefallen sein, daß in ihnen immer etwas präsent ist; das von uns nicht unmittelbar beeinflußbar scheint, etwas Äußeres quasi. Ob als plötzlich herunter krachendes Bühnenportal in Schwarz auf Weiss, oder als vervielfältigend sich verselbstständigendes Echo der Arbeitsgeräusche des Schasuspielers in Max Black. Oder auch in den Orchesterstücken als eingespieltes Klangdokument oder clicktrack ähnlicher Puls, nachdem sich die Spieler richten müssen. Vielleicht um nicht nur dem Publikum, sondern auch den Musikern und Darstellern auf der Bühne deutlich zu machen, "der Einzelne bestimmt hier nicht, wo es lang geht". Das habe ich in Frankfurt gelernt. Für mich ist das eine wichtige Repräsentanz dessen, dem ich mich selbst gegenüber sehe. Vielleicht eine Weitergabe der offenen Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Realitäten und ihrer Gesetze. Auch in der Kunst nicht die Kräfteverhältnisse ausklammern, die doch unsere eigentlichen Widersacher sind. Nichtmal für die Dauer eines kleinen Streichquartettes. Ich denke in diesen Aspekten meiner Arbeit ist die Stadt, in der ich oder vor der aus ich seit 30 Jahren arbeite, sehr sehr anwesend. Meine Erfahrungen mit und in dieser Stadt. Das was geht, das was nicht geht, das wogegen man anspielt auch mit hörbar zu machen; was die Offenheit hier fordert, zuläßt und wo die manchmal überraschend hereinbrechenden Grenzen die Spielräume einengen - auch in der Kunst.
Ein anderer "Frankfurter", Alexander Kluge, hat ja darauf hingewiesen, wie Erfahrung ein verwirrtes Resultat vor allem von Nähesinn ist, damit beschreibt er, wie eben unsere unmittelbaren Sinne über die wirklichen gesellschaftlichen Prozesse wenig Auskunft geben. Vielleicht will ich mich also mit meinen ästhetischen Maßnahmen auch beteiligen, sozusagen die verkümmerten und nicht ausreichend entwickelten Fernsinne auszubilden.
Wenn ich in Erklärungen versuche, die Wahrnehmung tatsaechlicher politischer Kräftverhältnisse und geschichtlicher Erfahrungen zu thematisieren, zitiere ich Kluge gerne mit dem Satz "In der Nähe, die uns erfahrbar ist, finden die Entscheidungen nicht statt".
Nur, in Frankfurt stimmt das natürlich gar nicht. Natürlich finden hier die Entscheidungen in aller nächster Nähe statt, man kennt sogar die Namen, die Motive, die Verträge, die Budgets, die Abfindungen - aber selbst, dann wenn diese Entscheidungen manchmal ins Herz der eigenen Arbeit zielen, und sie auslöschen - gilt es, das dennoch nicht persönlich zu nehmen, das ist die eigentliche Meisterleistung. Dafür muß man - solange man ein gutes Gedächtnis hat - schon mindestens 50 Jahre werden. Auch dafür nehme ich Plakette gerne an.
Und wer geglaubt hatte - es gab ja vorsichtige Vorfühlungen in dieser Richtung - ich könnte aus (mir völlig unerfindlichen Gründen) die Plakette vielleicht nicht annehmen wollen, hat meine Eitelkeit unterschätzt. Und auch mein Abstraktionsvermögen (auch wenn Tom Stromberg immer gesagt hat, ich sei so undiplomatisch).
Brecht sagt im Meti: Unsere Erfahrungen verwandeln sich meist sehr rasch in Urteile. Diese Urteile merken wir uns, aber wir meinen, es seien Erfahrungen. Natürlich sind Urteile nicht so zuverlässig wie Erfahrungen. Es ist eine bestimmte Technik nötig, die Erfahrungen frisch zu erhalten, so daß man immerzu aus ihnen neue Urteile schöpfen kann.
Wenn ich mit dieser Technik meine Erfahrungen in Frankfurt frisch halte, heißt das vor allem: nicht zu vergessen unter welchen Bedingungen kreatives Arbeiten möglich ist, und jetzt statt zu schmollen gleichzeitig aber dahinter die strukturelle Dummheit nicht zu übersehen, und die Schwerkraft der großen und realitiv luxuriösen Apparate, für deren status quo die flexiblen Strukturen gefährdet oder geopfert werden.
Hier ist Frankfurt nicht allein. (Ich habe in der Vergangenheit nicht an Sie, Herr Nordhoff, aber an Ihren Kollegen Herrn Flierl mehrere offenen Briefe geschrieben.)
Aber Frankfurt ist die einzige Stadt, die ein so bewährtes, historisch gewachsenes und international anerkanntes Gütesiegel hat wie das TAT und dieses offenbar leichtfertig aufs Spiel setzt, obwohl es vergleichsweise doch so billig ist - nur weil die ästhetische und räumliche Zukunft zur Zeit in Frage steht. Also lieber mutig hier (und anderen Städten gegenüber) ein Zeichen setzen für eine Kunstform, die wir in der Zukunft noch brauchen werden, weil sie von den großen Häusern bei Erfolg zwar eingekauft und repetiert wird, dort aber nicht entstehen kann. Frankfurt ist auf vielen Ebenen keine provinzielle, sondern - von den Kinderläden bis zu den Banken - eine internationale Stadt - das muß sie auch kulturell und ästhetisch bleiben bzw. wieder herstellen.
Sie wissen, mir könnte das egal sein, aber wenn ich, wie kürzlich im Opernhaus von Istanbul, dem Atatürk-Theater, auf einem internationalen Theaterfestival ein Stück aufführe, das Hashirigaki heißt, bei dem japanische, schwedische und kanadische Darsteller Englisch sprechen - und das in einer Produktion aus der französischen Schweiz - dann ist es schon schwer zu vermitteln, daß dahinter ein Frankfurter steckt.
Ich danke Ihnen.