13 May 1998, Frankfurter Rundschau
Interview (de)
Theater ist Erfahrung, keine Mitteilungsform
Komponist Heiner Goebbels über sein Verhältnis zur Sprache und seine neue Theaterproduktion "Max Black". Interview mit Tim Gorbauch
"Max Black", die neue Produktion des Frankfurter Komponisten und Regisseurs Heiner Goebbels, wurde jüngst in Lausanne uraufgeführt und ist vom morgigen Donnerstag an im TAT zu sehen. Darsteller wird André Wilms sein, mit dem Goebbels schon 1993 "... oder die glücklose Landung" erarbeitete. Mit Goebbels sprach FR-Mitarbeiter Tim Gorbauch. Frage: Herr Goebbels, Sie haben einmal, anläßlich eines Heiner Müller Hörstücks, von Ihrer Arbeit als einer "akustischen Inszenierung von Texten" gesprochen. Woher kommt dieses enorme Interesse eines Musikers an Sprache? Heiner Goebbels: Gute Frage. Wahrscheinlich bin ich nicht nur Musiker. Meine Biographie hat Umwege, und ich habe selten eigentlich im absolut-musikalischen Bereich, sondern immer auch mit anderen Medien gearbeitet Gerade Sprache ist für mich ein Impuls, über Musik anders nachzudenken. Sprache macht mir musikalische -Angebote mit ihrer Form, mit ihrer Struktur mit ihrem Rhythmus. Brecht hat sich in den vierziger Jahren darüber beschwert, daß Komponisten Texte immerzu lyrisieren und psychologisieren aber ihren Rhythmus ignorieren. Daran hat sich nicht viel geändert. In der Komposition aber auch im Theater allgemein tritt der Sprachrhythmus oft gegenüber der Semantik zurück. Ich will da eine andere Balance. Ich vertraue dem Rhythmus und den Strukturen genauso wie den Inhalten. Texte etwa, die nur mitteilen wollen und nicht selber etwas sind, interessieren mich nicht. Nur Inhalt ist mir zu wenig. Ich will ja auch selbst nichts "mitteilen", sondern in erster Linie Erfahrungen, die ich mit einem bestimmten Stoff gemacht habe, teilen. Theater ist Erfahrung, keine Mitteilungsform. Insofern sind Farbe, Klang, Rhythmus von gesprochener Sprache für mich wichtige Kategorien, vor allem dann, wenn ich mit einer anderen Sprache arbeite, wie jetzt in Max Black, wo sehr viel französisch, aber auch englisch und in Teilen natürlich auch deutsch gesprochen wird. In einer fremden Sprache entferne ich mich sofort vom Inhaltlichen und konzentriere mich automatisch auf Klang oder Rhythmus. Das ist der Bereich, der mich als Musiker an Sprache interessiert. Ihre vorletzte Produktion, "Schwarz auf Weiss", betonte sehr stark die musikalische Komponente. Das Stück davor, "Die Wiederholung", hatte dagegen ein sehr theatralisches Gesicht. Wie sieht das bei "Max Black" aus? Bei Max Black liegt das Augenmerk fast mehr auf der Sprache, als auf der Musik. Gerade nach Schwarz auf Weiss, das ja Musiktheater par excellence ist, war es mir wichtig, wieder mehr als Regisseur und weniger als Komponist zu fungieren und wieder ein Stück zu machen, das sich ausdrücklich aufs Theater bezieht. Deswegen auch jetzt, nachdem bei Schwarz auf Weiss Musiker auf der Bühne waren, wieder die Zusammenarbeit mit einem Schauspieler, Andre Wilms, für den ich Max Black geschrieben habe. Ich springe immer hin und her, ich wechsle gerne meine Schwerpunkte. Auch um immer wieder Distanz zu gewinnen und Dinge aus anderen Perspektiven zu sehen. Für mich und meine Arbeit ist es immer produktiv, wenn ich einen gewissen Abstand kriege. Ansonsten kreist man nur um seine eigenen Möglichkeiten, und es kommt nichts Neues hinzu. Deshalb habe ich nach Surrogate Cities, einem Orchesterwerk, ein Stück gemacht, in dem fast gar keine eigene Musik vorkommt: Die Wiederholung. Dann kam mit Schwarz auf Weiss eine dezidiert von der Musik her erfundene Arbeit, und jetzt, bei Max Black, liegt das Schwergewicht wieder auf dem Theater aber natürlich spielt auch hier die Musik, wie in allen meinen Stücken, eine große Rolle. Bevor Sie ein neues Stück schreiben, haben Sie einmal gesagt, lesen Sie sehr viel. Was waren in den letzten Monaten vor "Max Black" Ihre Lesestoffe? Logikbücher. In denen habe ich dann auch den Namen Max Black gefunden. Ihn gab es ja tatsächlich, er war ein Logiker unseres Jahrhunderts aber, wie die anderen Autoren auch, deren Texte ich verwendet habe, kein Fachidiot. Er hat über Sprache geschrieben, über Kunst, Mathematik und so weiter. Ich bin an dem Namen hängen geblieben, ein wunderbarer Name, den man besser nicht erfinden kann. Dann habe ich weiter gelesen. Bücher von Wissenschaftlern, die nicht eingeschränkt, nicht spezialisiert sind, sondern deren Qualität gerade in ihrer Möglichkeit liegt, quer zu den Kategorisierungen zu denken. Lichtenberg ist da enorm wichtig, er ist ja geradezu ein Prototyp des Querdenkers. Oder Valéry, dessen Cahiers oft mit Lichtenbergs Sudelbüchern verglichen werden. Valéry hat mich dann sehr eingenommen, vor allem seine biographischen Äußerungen in den Cahiers, und dazu dann immer wieder einige Texte von Lichtenberg und Wittgenstein und vielen anderen auch. Ich lese ja nie linear, sondern immer quer und eher assoziativ. Der Rest ist dann nur noch Reduktion, um aus der Masse von Möglichkeiten einen neuen Text zu synthetisieren. Bei den Autoren, die hier übrig geblieben sind, also Valery, Lichtenberg, Wittgenstein und Max Black, interessiert mich nicht die Divergenz ihrer Gedanken. Das könnte alles aus dem Mund eines einzigen fiktiven Wissenschaftlers stammen, der für ein kreatives Denken einsteht. Manchmal merkt man die Übergänge gar nicht. Nur durch die verschiedenen Sprachen werden sie noch spürbar und offensichtlich. Sie erarbeiten Ihre Stücke immer eng mit den Ausführenden. Inwieweit beeinflußt etwa die Gestalt des Schauspielers André Wilms Ihre Arbeitsweise? Das kann man gar nicht hoch genug einschätzen. Ich habe das Stück direkt für ihn geschrieben. Seine sprachlichen Möglichkeiten sind ja immens, und gerade rhythmisch ist er ungemein virtuos, in der Arbeit mit seinem Körper, mit der Sprache, mit der Aktion. Ich wollte gerne, auch im Reflex auf Schwarz auf Weiss, bei dem ein Kollektiv, ein Ensemble, Träger des Geschehens war, wieder mit einem einzelnen Darsteller arbeiten, der zugleich auch die Musik macht. Es gibt dafür sehr viel Live-Elektronik, die seine Aktionen in Musik verwandelt. Ohnehin kann man so ein Stück gar nicht alleine erfinden, ich kann mir das nicht abstrakt am Schreibtisch ausdenken. Es ist von vier, fünf Seiten aus gleichzeitig konzipiert. Die Kostümbildnerin ist da in der ersten Improvisationsphase genauso kreativ dabei wie der Feuerwerker oder der Bühnenbildner, der während unserer ersten Proben an dem Theater-Raum arbeitet. Ich probiere immer mit allen theatralen Mitteln gleichzeitig, Licht, Bühne, Musik, Schauspiel und so weiter. Ansonsten droht die Gefahr, daß man den klassischen Hierarchisierungen verfällt, daß etwa der Text das wichtigste sei und die Musik das nur illustriert und der Raum das nur bebildert. Mich aber interessiert ja gerade ein balanciertes Kräfteverhältnis. Deswegen muß ich zum Beispiel immer auch sofort mit Licht arbeiten, denn sonst kann Licht nichts selbst erfinden, sondern nur das beleuchten, was ich vorher schon inszeniert habe. Und das gilt für alle Mittel. Nur wenn alles seine eigene Qualität, sein eigenes Gewicht behält, kann das Theater entstehen, das mich interessiert.
on: Max Black (Music Theatre)