23/24.5.1998, Süddeutsche Zeitung
Interview (de)
Mehr als nur ein DDR-Komponist
Heiner Goebbels über die Uraufführung seines "Eisler-Materials" und die Beziehung zu diesem Musiker. Interview mit Reinhard J. Brembeck
Ehrenrettung für einen großen Komponisten: Am Samstag bringt Heiner Goebbels - dieser musikalische Grenzgänger, Heiner-Müller-Vertoner und Mitbegründer des durch Demo-Auftritte bekannt gewordenen Sogenannten Linksradikalen Blasorchesters - sein "Eisler-Material" als Uraufführung in die Muffathalle. Als Hommage an den vor 100 Jahren geborenen Hanns Eisler, einen Komponisten, der bis heute kontrovers diskutiert wird. Weil der Schönberg-Schüler besonders durch linksengagierte Musik auffiel und sich nach dem Zweiten Weltkrieg mit dem real existierenden Sozialismus gemein machte: So stammt die Nationalhymne der DDR von Eisler, der übrigens auch jahrelang eng mit Brecht zusammengearbeitet hat. SZ: Warum ist Eisler in Deutschland so unbekannt? Goebbels: Gute Frage, die ich ganz schwer nur beantworten kann, weil er mir so vertraut ist und ich ihm soviel verdanke. Warum er so unbekannt ist? Das hat vielleicht damit zu tun, daß er sich nicht in diesen akademischen Reihen bewegt hat. oder dort nie ganz heimisch wurde. Er hat sich durchaus - von der Konzertsaal-Perspektive her gesehen -verunreinigt mit politischer Musik. Das wird offenbar schlecht verziehen. Das kann auch nur der schätzen, der das Gesamtwerk Eislers anschaut: die Person, die politischen Zusammenhänge, in denen er agiert und sich nicht gescheut hat, tagespolitisch einzugreifen. Gibt es auch musikalisch Vorbehalte? Es gibt eine Schwierigkeit, ihn aufzuführen. Natürlich kann man den akademischen Teil seines Werks im Konzertsaal spielen: die Suiten, die Klaviersonaten, wie bei anderen Schönberg-Schülern auch. Aber das ist nur die halbe Wahrheit. Und das ist ein Aspekt, den ich an diesem Abend "Eisler-Material" eher vernachlässige. Mich interessiert viel mehr der Eisler, der es geschafft hat, auf eine ganz einfache Weise - die ja, wie Brecht sagt, so schwierig ist - trotzdem einen neuen Ton zu finden, der aus dem 20. Jahrhundert kommt. Das ist ein Problem: Wie führt man das auf? Wie verträgt sich die Einfachheit bestimmter Lieder mit der Eitelkeit der Sänger, die sich viel lieber ans Publikum anschmiegen und noch sozusagen den volkstümlichen Tonfall imitieren wollen. Weil ich in "Eisler-Material" auf diese Lieder zurückgreife, bin ich nicht auf die Idee gekommen einen klassischen Sänger zu nehmen, sondern Josef Bierbichler. Welche Eisler-Stücke verwenden Sie? Es gibt keine Partitur... Es gibt deswegen keine Partitur, weil es mir als Komponist schwerfällt, einen anderen Komponisten zu bearbeiten. Warum sollte ich mich hinstellen und es besser wissen? Deshalb wird das Stück auf der spielerischen Ebene mit den Musikern erarbeitet: andere, auch improvisatorische Arrangements der Lieder, rhythmische Varianten und Perspektiven. Das ist mir leichter gefallen, aus dem Spiel selbst die Bearbeitungen zu entwickeln. Auch auf der Interpretationsebene... auf der Interpretationsebene, in einem ganz weiten Sinn, wir brechen die Stücke ab, wir beginnen sie wieder von vorn, wir reißen sie auseinander. Eisler war ein linker Komponist, Sie selbst haben in den siebziger Jahren eher links begonnen. Ist dieses politische Potential noch umsetzbar, oder: Wie viel muß man ändern, um es frisch zu halten? Man muß gewisse Texte weglassen. Die Nationalhymne? Die zum Beispiel werden wir singen. Aber nicht die der DDR, sondern die, die er für ein mögliches Gesamtdeutschland geschrieben hat: "Anmut sparet nicht, noch Mühe. Leidenschaft nicht, noch Verstand, daß ein gutes Deutschland blühe wie ein anderes gutes Land" - und in der ist die andere zitiert. Ich selbst war ja nie orthodox, ich war nie dogmatisch, ich gehörte nie einer Partei an, ich gehörte zu den Spontis. Und schon damals haben wir den Eisler auf sehr eigene und chaotische Weise interpretiert. Es gibt eigentlich auch nichts, von dem ich mich distanzieren müßte. Im Gegenteil. Ich kann sogar an die Erfahrungen, die ich mit dem Sogenannten Linksradikalen Blasorchester gerade in der Improvisation gemacht habe, bruchlos anknüpfen. Berühren sich Ihre und Eislers politische Haltung? Ich habe jetzt Eislers Gespräche und die Dokumente erneut gelesen, und mir ist dabei wieder einmal aufgefallen, wie sich auch Eisler gegen jede Form von Dogmatismus und Engstirnigkeit nicht nur geäußert, sondern auch vital dagegen agiert hat. Ich glaube, daß die Reduktion Eislers auf seine DDR-Geschichte der Widersprüchlichkeit seiner Person nicht gerecht wird. Sein Politikbegriff war nie aufgesetzt, und ich glaube, daß es das war, was mich an seiner Musik gefesselt hat: Es gibt da keine Trennung zwischen einem politischen Gedanken, den man dann über eine Musik stülpt oder umgekehrt. Das hat sich bei ihm als Haltung durchdrungen. Die Art zu denken, seine Perspektive, seine Wahrnehmung waren durch und durch gesellschaftlich und politisch. Das Paar Politik und Neue Musik finde ich schwierig auseinanderzudividieren, weil ich es bei ihm in einer überzeugenden Weise verbunden fand - und das hat mich damals auch sehr berührt und beeinflußt.
on: Eislermaterial (Music Theatre)