20 October 2000, Tom F. Schulz, Die Welt
Interview (de)
Hashirigaki: Gertrude Stein meets Beach Boys
Heiner Goebbels über sein neues Stück.
Hamburg - Heiner Goebbels, Jahrgang 1952, zählt zu den wichtigsten deutschsprachigen Regisseuren und Komponisten für zeitgenössisches Musiktheater. Nach einem Soziologiestudium studierte Goebbels Musik in Frankfurt. Seit Mitte der siebziger Jahre arbeitete er im Duo mit Alfred Harth und mit dem Sogenannten Linksradikalen Blasorchester, spielte auch in den Art-Rock-Bands Cassiber und Duck And Cover. Heute erlebt sein neues Stück "Hashirigaki" am Deutscher; Schauspielhaus in Hamburg seine deutsche Erstaufführung, Tom F. Schulz traf den Komponisten in Hamburg.
Sie tragen einen der schlimmsten Nachnamen des 20. Jahrhunderts. Haben Sie mal daran gedacht, ihn zu ändern?
Heiner Goebbels: Ja, aber aus einem anderen Grund. Ich wohne in Frankfurt im Musikerviertel, zwischen Schumann-, Schubert-, Beethoven- und Mendelssohnstraße. Meine Straße heißt Kettenhofweg. Da wäre es schön gewesen, mich Kettenhof zu nennen.
Schon vor über 20 Jahren, als Sie im Sogenannten Linksradikalen Blasorchester und im Duo mit Alfred Harth spielten, hatten Sie einen konzeptionalistischen Zugang zur Musik. Heben Sie damals daran gedacht. Ihre Arbeit auch in Bilder umzusetzen?
Nein, und zwar deswegen, weil ich nicht mit Visionen lebe, sondern immer nur dort, wo ich mich gerade aufhalte. Außerdem war die Art von Musiktheater, an der ich später arbeiten konnte, für mich noch gar nicht vorstellbar. Mein Gefühl fürs Visuelle und für das Theater hat sich später an der Seite von Regisseuren wie Neuenfels oder Langhoff oder Ruth Berghaus weiterentwickelt. wickelt. Man könnte sagen, dass meine Zeit als Theaterkomponist bei ihnen auch eine jahrelange Regieassistenz gewesen ist.
Peter Palitzsch hat Sie 1978, noch während ihres Musikstudiums, ans Schauspiel Frankfurt geholt. Wie kam es dazu?
Ihn hat mein Umweg übers Soziologiestudium interessiert. Das hat er wohl gewittert: Da ist jemand, der nicht nur von Musik etwas versteht.
Denn wer, nach einem Wort Hanns Eislers, nur von Musik etwas versteht, versteht auch davon nichts. Was fasziniert Sie an Eisler, gerade gegenüber einem Kurt Weill?
Zu Weill hatte ich nie den richtigen Zugang. Vielleicht tue ich ihm Unrecht, aber ich fand bei ihm zu viele äußerliche Farben. Bei Eisler dagegen habe ich das Gefühl, dass er es als einer der ganz wenigen geschafft hat, eine politische Haltung im Material selbst zu verankern, sie also nicht als etwas Getrenntes, Aufgesetztes zu betrachten. Seine Haltung ist in der Körperlichkeit seines Spielens und Schreibens aufgehoben: Und ohne, dass ich mir dessen bewusst gewesen wäre, entstand zu seiner langen Beschäftigung mit Brecht eine Parallele in meiner eigenen langen Zusammenarbeit mit Heiner Müller.
Welche Eigenschaften braucht ein Schauspieler, damit Sie gerne mit ihm arbeiten?
Sicher ist Musikalität von großem Vorteil, allein schon deswegen, weil Musiker nicht so viele Fragen über das Warum stellen. Vor allem aber möchte ich von einem Darsteller, dass er bei sich selbst bleibt und nicht vorgibt, jemand anderer zu sein. Mir geht es um den Realismus dieser 90 Minuten, in denen Publikum und Akteure zusammen im Raum sind. Im Idealfall versuche ich, wie in meinem neuen Stück Hashirigaki, etwas zu machen, das man nicht mit wenigen Worten zusammenfassen könnte.
Darf ich trotzdem fragen, worum es bei Hashirigaki geht?
Ich kann Ihnen die Ingredienzien beschreiben. Am wichtigsten sind drei wunderbare Darstellerinnen mit einer großen Palette von Möglichkeiten: Die Japanerin Yumiko Tanaka, die sehr viele traditionelle japanische Instrumente spielt, die in Berlin lebende kanadische Pianistin Marie Goyette und die schwedische Schauspielerin und Sängerin Charlotte Engelkes.
Wir haben mit Auszügen aus Gertrude Steins Roman "The Making of Americans" gearbeitet. Den hat wahrscheinlich noch nie jemand wirklich gelesen, denn er hat 1000 Seiten und ist fast unlesbar. Aber er hat eine intensive musikalisch-rhythmische Qualität, so wie Minimal Music.
Und die Musik?
Außerdem stehen drei Songs von den Beach Boys im Zentrum, die überhaupt nicht ihrem sonstigen "Surfing USA"-Image entsprechen. Mich hat dieses ortlose Schweben ihrer Musik fasziniert; bei dem der Bass nie dahin gebracht wird, wo er eigentlich zu sein hat: Das passt sehr gut, denn in diesem Stück geht es mir um "außerirdische" Ortlosigkeit.
Komponieren Sie noch am Klavier?
Ich habe jetzt einen Kompositionsauftrag für die Berliner Philharmoniker für die erste Saison mit Simon Rattle. Da komponiere ich auch am Klavier und an anderen Instrumenten. Sehr viel aber entsteht am Computer.
Wie erklären Sie sich Ihren enormen Erfolg?
Zum Glück ist er ja nicht plötzlich über, mich hereingebrochen. Ich habe darauf geachtet, mich mitzuentwickeln. Außerdem habe ich eine hartnäckige Tendenz, mich dem Verwertungskarussell und dem Uraufführungsdruck zu verweigern. Mein Erfolg mag auch mit dem kontinuierlichen Versuch zusammenhängen, auf meinen Erfahrungen aufzubauen, sie aber immer wieder mit etwas Abstand zu überprüfen. Und sicher hat er auch mit Glück zu tun - schließlich bin ich Löwe!
on: Hashirigaki (Music Theatre)