November 2007, Münchner Merkur
Interview (de)
Stifters Dinge
Interview mit Christine Diller
In Ihrem neuesten Stück sind Dinge die Protagonisten. Wie muss man sich das vorstellen, agieren sie? Was sieht, hört, erlebt der Zuschauer?
Vielleicht erleben die Zuschauer sogar Unterschiedliches. Das hat mit der Offenheit des Stückes zu tun. Man sieht als Akteure die Dinge, die im Theater sonst nur Dekor oder Hilfsmittel sind: die Lautsprecher, die Vorhänge, die Bilder, das Licht. Mehr verrate ich nicht.
Ich glaube aber, ich kann Ihnen versprechen, daß es nicht langweilig wird, selbst die Verlangsamung der Vorgänge, denen man zuschaut, kann aufregend sein.
Ist das Bühnengeschehen, sind Musik oder Klänge live oder vorproduziert?
Alles - mit Ausnahme historischer Stimmen aus dem off - ist live. Die Klänge werden von fünf mechanischen Klavieren produziert, aber auch von Rohren, Steinen, Metallplatten, Wassertropfen usw.
Von Heiner Müller, mit dem Sie sich früher stark beschäftigten, zum biedermeierlichen Schriftsteller Adalbert Stifter scheint es ein weiter Weg zu sein. Was hat Sie an Stifter gereizt, wie sind Sie auf ihn gestoßen?
Die Empfehlung bekam ich vor 20 Jahren von einem Freund. Seitdem trage ich ihn mit mir herum. Und der Schein der biedermeierlichkeit trügt. Stifter macht zwar viel mehr Worte als Heiner Müller, aber gemütlich ist der noch lange nicht. Und ich denke es gibt durchaus Gemeinsamkeiten: z.B. die Leseerfahrung als eigene Realität zu begreifen. Bei seinen Natur-beschreibungen, die - wie bei Müller - meist Katastrophen sind, verlangt Stifter dem Leser nämlich eine Entschleunigung ab, so als müsse der selber durch den vereisten Wald, den er mit aller Formulierungskunst ausmalt.
Inwiefern kommen Texte von Stifter vor, sind sie Inspirationsquelle, werden sie zitiert oder interpretiert?
Einmal wird die Beschreibung einer dramatischen Winterlandschaft zitiert, aber wesentlicher ist für mich sein präzis beschreibender aber nicht vereinnahmender Blick auf das Fremde, als Motiv für unsere Arbeit. Es gibt auch aktuellere Texte: von Malcolm X, Levi Strauss, William Burroughs ...
Das Stück wird auch performative Installation genannt. Hat es mehr mit bildender Kunst zu tun, oder ist es dem Theater immer noch nah?
Es ist und bleibt Theater - aber es versucht, die Spielräume unserer subjektiven Wahrnehmung, wie man sie aus der künstlerischen Erfahrung kennt, zu erhalten und den Blick der Zuschauer zu öffnen. Sonst sehen wir im Theater doch oft nur ein Bild, nämlich das der Interpretation des Regisseurs.
Kann ein Theater ohne Schauspieler überhaupt noch Theater sein? Und was hat es dem herkömmlichen Schauspiel voraus? Hat es ihm überhaupt etwas voraus?
Natürlich wird das nicht die Zukunft des Theaters, Schauspieler sind dafür nicht nur unerläßlich sondern wunderbar! Aber es kann vielleicht ein lebendiges Beispiel sein dafür, wie auch die Abwesenheit unsere Sinne anregen kann. Wie frei wir denken, erleben, kombinieren und uns finden können, wenn niemand vor uns steht, der uns sagt, wo’s lang geht.
Was interessiert Sie an diesen ästhetischen Grenzüberschreitungen?
Daß auch der Zuschauer im Moment der Aufführung diese neuen Formate zwischen Musik Theater Literatur Bildender Kunst usw. erst entdecken kann und für sich selbst entscheiden muß: höre ich hier lieber zu oder schaue ich eher hin? Und was hat das eine mit dem andern zu tun? Ist vielleicht in dieser Szene sogar das Licht das Wichtigste, oder die Farbe? Und gestatte ich ihr, mich in den Bann zu ziehen, wie ich es vielleicht im Theater nur von einer spannenden Erzählung gewöhnt bin?
on: Stifters Dinge (Music Theatre)