04/2007, Thomas Lindemann, crescendo
Interview (de)
Heiner Goebbels: "Opernhäuser sind Museen"
Er ist einer der aufregendsten Gegenwartskomponisten. Heiner Goebbels über seine neue Oper, den Kollegen Wolfgang Rihm, über Bayreuth und Christoph Schlingensief.
Er zählt zu den Großen der aktuellen Komponisten und ist doch ein Außenseiter. Heiner Goebbels studierte Soziologie, gründete in der Sponti-Szene der 70er das "Sogenannte Linksradikale Blasorchester", hatte eine Band und schrieb dann erst Musiktheater. Er lehrt an der Uni Gießen angewandte Theaterwissenschaft. Seine Oper "Landschaft mit entfernten Verwandten" erscheint im Herbst auf CD, frühere Werke waren zweimal für einen Grammy nominiert. In die geräumige Altbau-Beletage, die Goebbels in Frankfurt bewohnt, dringt von der ruhigen Straße nur Vogelgezwitscher herein. Die Arbeitsräume des Komponisten sind mit Bücherstapeln übersät, viele soziologische Werke. Neben seinem Flügel steht eine kleine Metallbüste von Hanns Eisler, auf dem Boden liegen Celli, die Goebbels, wie er sagt, leider "selten" spielt. Heiner Goebbels redet ruhig und konzentriert, zum Interview gibt’s eine Bio-Limo, Geschmack: Holunder. Sie arbeiten seit Jahren an der Grenze zwischen Musiktheater, Hörspiel und Kunstaktion. Im Herbst erscheint ihre "Landschaft mit entfernten Verwandten" als CD und diesmal nennen sie das Werk wirklich eine Oper. Wie kommt‘s? Goebbels: Das war vor allem ein Trick, um auch die Opernkritiker für meine Musiktheaterstücke zu interessieren – sonst kommen sie nicht, weil die Stücke nicht auf den Spielplänen der Opernhäuser stehen. Sobald ich es ‚Oper‘ nenne, kommen alle, sogar bis nach Genf. Zur Gravität dieser Institution Oper gehören offenbar auch die Stukturen, die darüber entscheiden, wer darüber schreibt und wann und warum. Ist es denn eine Oper? Goebbels: Vielleicht. Aber es sollte eine sein, die nicht so aussieht wie eine Oper und auch nicht so klingt. In der aber all die Kräfte wirken, die das komplexe Zusammenspiel der Mittel in der Oper ausmachen. Gesang spielte dabei für mich keine dominante, aber eine wichtige Rolle. Meine Arbeiten befinden sich oft genau in der Lücke zwischen Oper und Schauspiel, weil sie eher mit komponierter Sprache zu tun haben. Eines ihrer großen Werke heißt "Schwarz auf Weiß", das kündet ja ohnehin vom Text. Die Abschnitte heißen Writings, das Einleitungsgeräusch ist ein kratzender Griffel. Goebbels: Es geht mir oft um die Musikalität von Sprache. Mit dem, was man gemeinhin Oper nennt, kann ich wegen der Enge des akademischen ausgebildeten Gesangs nicht viel anfangen. Ich will das Spektrum der menschlichen Stimme nicht hierarchisieren. Mich interessiert auch die Stimme, die nicht fünf Jahre Gesangsunterricht hinter sich hat, der die Individualität des Ausdrucks verstellt. Sie haben sich auch mal in Boston auf die Straße gestellt und Passanten einen Text von Heiner Müller lesen lassen. Und sie haben Rap ins Musiktheater eingebaut ... Goebbels: Wir machten unsere Aufnahmen in einer etwas gefährlichen Gegend. Ein Junkie hat dann den Toningenieur und mich angebettelt. Wir gaben ihm zwei Dollar und für nochmal zwei Dollar hat er dann – sehr körperlich rhythmisiert – den Text von Heiner Müller hervorgestoßen. Ich musste den Beat, den Puls nur finden und darunterlegen. Ich habe mir den Rap nicht ausgedacht. Monteverdis "L'Orfeo" gilt als erste Oper, sie wurde vor 400 Jahren uraufgeführt. Gibt es einen Bogen von dort zu Ihrer Arbeit? Goebbels: Ja, aber es ist ein Bogen um die große dramatische italienische Oper herum. Mich interessieren die frühen, vorbarocken Werke eher, weil sie einem anderen Gesangsideal verpflichtet sind. Nächste Woche beginne ich nicht zufällig mit den ersten Proben zu einem Musiktheater mit dem Hilliard Ensemble. Sie haben Interesse an einer szenischen Arbeit und ich Lust auf diese wunderbar zurückhaltenden Stimmen ohne Vibrato. Wissen Sie schon, wie es heißen wird? Goebbels: Natürlich nicht. Ich weiß noch nicht einmal, worum es geht. Ich mache Oper nicht, weil ich ein Libretto habe, das ich Satz für Satz, Akt für Akt umsetzen möchte. Sondern ich versuche etwas herauszubekommen, was ich vorher noch nicht kenne – vielleicht eine Frage, auf die ich gar keine Antwort habe. Bei "Landschaft mit entfernten Verwandten" habe ich anfangs mit Blindtexten gearbeitet. Auch bei "Schwarz auf Weiß", haben wir bei den ersten Workshops noch mit Gartenbautexten probiert... Ihre Oper "Landschaft mit entfernten Verwandten" wirkt düster, Textstellen lauten etwa "niemand will lernen" oder "es ändert sich nichts"... Goebbels: Das ist ein Missverständnis. Wenn man Texte immer nur auf Ihre Inhalte abklopft, denkt man vielleicht, sie sind apokalyptisch oder katastrophisch. Das ist ja auch der alte Nihilismus-Vorwurf gegen Heiner Müller. Dabei vergisst man aber den Humor und die Form der Texte. Wenn Gertrude Stein schreibt "history is repeating" entbehrt das zwar nicht einer gewissen Melancholie, aber sie tut das mit Ironie, die das Gegenteil signalisiert. Heiner Müller sagte einmal: Die Utopie steckt in der Form. Dort ist die Sprengkraft und die Herausforderung ans Hören. Sie lassen in "Landschaft mit Argonauten" eine persische Sängerin einen alten Text von Edgar Allan Poe vortragen. Wie kommt man auf solche Ideen, die das Prinzip Oper anders denken? Goebbels: Ich versuche meine Verfahren in dem Material aufzufinden, statt sie mir auszudenken. Ich hasse ‚Einfälle‘ und versuche keine zu haben. In dem Text "Schatten" hat Poe die Parabel in das alte Ptolemais verlegt. Deshalb eine Stimme aus diesem Kulturraum. Die Sängerin Sussan Deyhim lebte zufällig in der Nähe, das Stück entstand ja in Boston – und so hat sich vieles glücklich gefügt. Der Zufall komponiert mit? Goebbels: Er spielt eine Riesenrolle. Wenn ich nicht weiß, wen ich für ein bestimmtes Projekt engagieren könnte, bin ich mir inzwischen sicher, dass ich ihn rechtzeitig vor Probenbeginn noch kennenlernen werde. Das ist ja denkbar weit vom genialischen Komponisten entfernt, der konzipierend arbeitet. Wenn man sie mit Wolfgang Rihm vergleicht ... Goebbels: ... mit dem ich gestern bei einem Konzert in der Alten Oper war ... Sie beide sind Jahrgang ’52, sie beide haben mit Texten von Heiner Müller gearbeitet – und sind doch grundverschieden. Goebbels: Ich vergleiche uns nicht, und er tut das bestimmt auch nicht. Wir sind so weit von einander entfernt. Deshalb tun wir uns auch nicht weh. Ich gehe vom gesprochenen Wort aus, auch vom Rhythmus der Sprache, daraus entwickle ich die musikalischen Formen. Rihm dagegen kommt sicher eher über die Inhalte und sucht darin die Möglichkeit für die Expression und das allgemein Menschliche. Womit er den üblichen Weg geht. Goebbels: Ich glaube, dass in der Materialität eines Textes schon musikalische Potenzen stecken. Das untersuche ich, bevor ich dem etwas ‚Eigenes‘ überstülpe. Das ist doch das Problem bei Opernregie und Theater: In der Regel setzt uns dort ein Regisseur seine Sichtweise eines Stoffes vor. Der gigantische Reichtum eines Textes oder einer Partitur schrumpft auf die klägliche Darstellungssucht eines einzigen Egos zusammen. Das interessiert mich nicht; ich möchte Texte mit Musik aufschließen und das dann anbieten, den Blick auf sie öffnen – nicht verengen. Sie sitzen im Beirat etwa des "Fonds experimentelles Musiktheater", der nicht Einzelkomponisten fördert, sondern Teams. Ist das einer der neuen Wege? Goebbels: In der Tat ist es das Besondere, dass wir Teams auswählen. Das Problem ist eher: Die Teams treffen auf die relativ festen Arbeitsstrukuren eines Stadttheaters, brauchen aber eine Laborsituation, eine andere Probenpraxis ohne die Gesetze von Repertoire und festem Ensemble. Außerdem dauert es sehr lange und vielleicht viele Irrtümer, bis ein gutes Team sich findet. Kann man in Form einer Oper überhaupt angemessen auf unsere Welt reagieren? Goebbels: Das Problem ist nicht die Oper selbst. Es gibt wunderbare Opern; für mich sind insbesondere die zeitgemäß, die nicht linear erzählt sind und jenseits dieser alten Idee stehen, einen dramatischen Text durchzukomponieren. Denken sie an John Cage, Luigi Nono oder Helmut Lachenmann. Da werden Verfahren angewandt, die man aus der Bildenden Kunst kennt. Bei Lachenmann ist die Oper aus dem Klang gehauen. Wie eine Skulptur. Aber es gibt kaum Regisseure, die damit umgehen können. Eine so aufregende Oper, die sich querstellt zu den konventionellen Erzählformen, wird dann vom Regisseur einfach doch wieder ganz herkömmlich psychologisch inszeniert. Ein Beispiel? Goebbels: Wenn ich mir John Cages "Europera" in der Staatsoper Hannover ansehe, sehe ich dahinter vor allem einen Regisseur, der glaubt, er müsse atonales Singen dadurch plausibel machen, dass er die Sänger als verrückt gewordene Kleinbürger inszeniert. Da kann ich nur sagen: Thema verfehlt. Was müsste man tun? Goebbels: Man muss aus dem Visuellen eine andere, aus der Freiheit der Wahrnehmung kommende Inszenierungspraxis erfinden. Schlingensief hat in Manaus, im brasilianischen Dschungel, gerade Wagners "Fliegenden Holländer" inszeniert, sehr grell, verrückt, multimedial. Aber er ist eben doch der genialische Regisseur. Hat das Zweck? Goebbels: Ich habe das nicht gesehen, leider auch seinen Bayreuther "Parsifal" nicht. Aber sehr gute Stimmen über die mediale und szenische Komplexität der Inszenierung gehört. Wie ist die Situation anspruchsvollen Musiktheaters in unserer Gesellschaft? Es gibt in ihrer Arbeit "Eislermaterial" eine Stelle, da hört man die Stimme Eislers sagen, man möge das Radio mal anmachen, überall laufe nur Mist. Das gilt heute ja wohl erst recht. Goebbels: Man wundert sich, wie weitsichtig er war. Die öffentlich-rechtlichen Medien werden ihrem Kunstauftrag nicht gerecht, ich finde sie sollten die Arbeitsteilung akzeptieren und die Laufbandmusik den Privatsendern überlassen; stattdessen könnten sie signalisieren: Wir haben ein anderes Konzept von Hören. Bei uns laufen Dinge, die man vorher noch nie gehört hat, die eine künstlerische Erfahrung sein können, oder auch: die man wenigstens beim Lesen, Kochen oder Autofahren ertragen kann, ohne permanent angeschrien und angemacht zu werden ... Heute, da wir uns treffen, am 25. April, ist der internationale Tag gegen den Lärm. Das ist in ihrem Sinn? Goebbels: Unbedingt. Eines meiner schönsten Erlebnisse hatte ich einmal in Bayreuth. Nicht im Opernhaus, sondern auf der Kirmes. Nach 23 Uhr war es offensichtlich verboten, Musik zu spielen. Ich kam kurz nach elf und dachte, ich bin auf einem andern Planeten: Riesenrad, Auto-Scooter, Achterbahn – alles lautlos. Zum ersten Mal konnte man etwas sehen: die Farben, den Rhythmus der Lichter, Menschen reden und lachen hören. Wunderbar! Das müssten alle Städte machen. Ich bin mir sicher, es gibt bald ein Publikum dafür. Haben sie jemals das ganz große Publikum vermisst, das Popmusiker bekommen? Goebbels: Nein. Ich kann zufrieden sein, ich habe ein großes Publikum. Im Gegenteil, ich glaube, ab einer gewissen Größe des Zuschauerraums kann man von der Bühne her nur noch totalitär agieren. Bei meinem "Eislermaterial" ist die Bühne leer, die Musiker sitzen am äußersten Bühnenrand. Ich erlebe dann, wie das Publikum sich vorbeugt und auf dem vorderen Stuhlrand sitzt. Es ist, als wollten sie die Bühne einnehmen. Das geht noch bei 1000 Zuschauern, nicht aber bei 2500 oder im Stadium.
on: Landschaft mit entfernten Verwandten (Music Theatre)